Der Spezialist: Thriller
zusammenfiel.
»Ezra …«
Der Körper des Jungen spannte sich ruckartig an wie bei einem Soldaten, der Haltung annimmt.
»Ezra, ich werde dir jetzt keine Fragen stellen.«
Die Kehle des Jungen schwoll an, und er gab ein quietschendes Grunzen von sich. Geiger nahm sein eigenes Handy und drückte eine Schnellwahltaste. Harry meldete sich nach dem ersten Klingelton.
»Das ging ja schnell«, sagte er.
»Komm wieder hoch«, sagte Geiger, »und bring das Geld mit.«
Stille am anderen Ende. Dann fragte Harry: »Das Geld?«
»Ja.«
»Okay.«
Geiger kehrte in den Beobachtungsraum zurück. Hall hatte sich nicht bewegt und lag fast in embryonaler Haltung auf der rechten Seite. An der Wand war ein feuchter Bogen, den seine Wunde gemalt hatte, als sein Kopf vom Aufschlagpunkt aus seitlich zu Boden geglitten war.
Geiger hörte tief in sich leise Musik und sah vor seinen Augen Blitze aus violettem und grüngelbem Schall, die sich in derZeit wellten. Dann drangen das Knarren einer Tür und ein Span aus staubigem Licht in die Pechschwärze in seinem Innern. In den Fußknöcheln spürte er einen dumpfen Schmerz. Wie ein Balletttänzer erhob er sich auf den Fußballen und spannte Achillessehnen und Wadenmuskeln. Schmerz und Musik hörten auf, und das Licht verschwand.
Das Aufzuggatter schepperte.
»Geiger?«, rief Harry.
Das Wort drang zu Geiger wie ein Ruf über einen Abgrund. Als er sich umdrehte, stand Harry in der Tür. Auf seiner Miene lag Bestürzung.
»Heilige Scheiße! Was ist denn hier passiert?«
Geiger warf einen Blick auf Hall.
»Wir gehen«, sagte er, als redete er zu dem Bewusstlosen und nicht zu Harry.
Harry stellte den Aktenkoffer neben sich ab. »Oh, Mann! Was hast du denn mit dem gemacht? Ist er … ist er tot?«
»Nein. Wir müssen jetzt gehen.«
Geiger ging zur Tür, doch Harry hob die Hände wie ein Verkehrspolizist. Geiger blieb stehen und starrte auf Harrys Handflächen.
»Warte mal kurz«, sagte Harry. »Nur ganz kurz …« Er legte die Hände an die Wangen. »Was ist los mit dir, verdammt noch mal?«
»Wir müssen gehen.«
»Können wir denn nicht kurz darüber reden?«
»Im Augenblick ist es wichtiger, dass wir gehen, Harry.«
»Da bin ich anderer Meinung. Das ist Irrsinn. Völlig durchgeknallt, okay?«
»Harry«, sagte Geiger, »es ist wahrscheinlich, wenn nicht sicher, dass einer von Halls Leuten ihm gefolgt ist und in der Nähe wartet. Meinst du nicht auch?«
»Ich weiß nicht. Keine Ahnung.«
»Deshalb müssen wir gehen. Sofort. Je länger wir warten, desto komplizierter wird alles.«
»Kompliziert? Du hast gerade einen Klienten k. o. geschlagen!«
Harry sah zur Bar hinüber, zu der bunten Skyline aus Flaschen. Seit dem Tag, an dem er Geigers Angebot angenommen hatte, hatte er keinen Schluck Alkohol mehr getrunken. Dass Harry das Trinken aufgab, war Geigers einzige Bedingung gewesen – was ein Grund mehr war, weshalb Harry ihn als seinen Lebensretter betrachtete. Doch auch nach elf Jahren erinnerte Harrys Gaumen sich noch sehr genau an den Geschmack von billigem Bourbon. Je deutlicher ihm wurde, was der Mann am Boden bedeutete und dass er wahrscheinlich sein ganzes Leben umkrempeln würde, desto mehr wünschte Harry sich einen Drink, um das Donnern des eigenen Pulses in seinen Ohren zu dämpfen.
»Wir gehen jetzt, Harry. Hinten raus.«
»Wohin?«
Geiger seufzte.
Harry staunte. Er hatte Geiger nie zuvor seufzen hören. Er wäre nicht überraschter gewesen, hätte Geiger aufgeschrien.
»Und das Geld lassen wir hier«, sagte Geiger.
Harry spürte einen dumpfen Stich in der Brust, doch im Grunde hatte er es kommen sehen. Er nickte traurig. »Wenn wir das Geld hierlassen, wird das die Wogen glätten?«
»Ich glaube kaum.«
»Warum nicht?«
»Weil ich bezweifle, ob Hall das Geld so wichtig ist – und weil der Junge mit mir kommt.«
» Mit dir?«
Harry blickte zum Eingang. Den Jungen hatte er ganz vergessen. Bei seinem Anblick, still und reglos, loderte Wut in Harry auf.
Er drehte sich zu Geiger um. »Mann, das ist der absolute Irrsinn! Du sagst Hall, dass du nicht mit Kindern arbeitest; dann überlegst du es dir anders und sagst ja, und dann schlägst du ihm beinahe den Schädel ein. Warum tust du das?«
»Wir brauchen einen Wagen. Geh über die Gasse hinaus …«
»Wovon redest du eigentlich, verdammt?«
»Nimm ein Taxi zu Thrifty Rental. Der Autoverleih hat lange geöffnet …«
»Geiger!«
»Nimm einen Wagen, fahr zur Gasse, setz rückwärts rein und
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