Der Spezialist: Thriller
möchte Ezra zu Ihnen bringen. Das ist der einzige Grund, weshalb ich anrufe.«
Er hörte ein Schluchzen, dann ein Schniefen. »Reden Sie weiter.«
»Sie müssen mit dem Flugzeug nach New York kommen. Bitte setzen Sie sich nicht mit der Polizei in Verbindung. Das würde alles nur schwieriger machen. Sie müssen darauf vertrauen, dass ich die Wahrheit sage. Es ist möglich, dass die Kidnapper Ihre Handynummer kennen. Wenn Sie in New York sind, dürfen Sie Ihr Handy nicht benutzen, sonst ist man in der Lage, Sie zu finden. Rufen Sie mich von einem Münzfernsprecher auf meinem Handy an. Die Kidnapper kennen diese Nummer nicht. Sobald Sie anrufen, sage ich Ihnen, wohin Sie gehen müssen.«
»Aber wie …«
»Schreiben Sie sich die Nummer auf, und wiederholen Sie sie. 917-8774778.«
»Moment.«
Geiger schloss die Augen. Es war zu viel los um ihn herum; er spürte das Gewicht jedes Geräuschs, jedes Anblicks, jedes Geruchs und jedes Luftmoleküls, wie es auf ihn drückte.
»Okay«, sagte Ezras Mutter. »Sagen Sie mir die Nummer bitte noch einmal.«
Geiger tat es. »Haben Sie’s?«
»Ja.«
»Wiederholen Sie.«
»917-8774778.«
»Gut. Ich weiß, dass es schwer ist, aber erzählen Sie niemandem von diesem Anruf. Erzählen Sie niemandem, was sie gehört haben. Lassen Sie sich irgendeinen Vorwand einfallen, weshalb Sie wegmüssen, und machen Sie sich auf den Weg.«
»Gut.«
»Ich lege jetzt auf.«
»Moment noch! Würden Sie …« Sie hielt inne, schien den Tränen nahe zu sein. »Würden Sie Ezra bitte ausrichten, dass ich ihn lieb habe?«
»Ja.«
Nachdem Geiger aufgelegt hatte, ging er zur Mott Street zum La Bella. Carmine hatte zwar ein Handy, und Geiger hatte die Nummer, aber Carmine redete nicht am Telefon, egal, ob es um Geschäfte oder ums Vergnügen ging.
Man rief Carmine Delanotte nicht an. Man ging ins La Bella.
***
Als Geiger eintrat, blickte der Ober auf und lächelte.
»Mr. Geiger. Wie geht es Ihnen? Ich habe Sie eine ganze Weile nicht gesehen.«
»Ist Carmine da?«
»Selbstverständlich. Ich sage ihm Bescheid, dass Sie hier sind.«
Geiger roch Knoblauch und Oregano und hörte Beast of Burden von den Stones aus den Lautsprechern des Restaurants. Das La Bella war authentisch. Es war weder eine Fassade, noch diente es zur Geldwäsche, noch äffte es altmodische Speiselokale in Italien mit sonnigen Wandgemälden und einer musikalischen Endlosschleife aus Frank Sinatra und Jerry Vale nach. Der Fußboden bestand aus handbemalten Fliesen aus Bologna, die Beleuchtung kam aus Punktstrahlern, und die Wände zierten Schwarz-Weiß-Fotos von Italien, die auch im Museum of Modern Art hätten ausgestellt werden können. Die unaufdringlichen Kellner trugen Hosen und Westen von Armani. Carmine war in allem, was er tat, vorausschauend, und sein offenkundiger Stolz auf das, was er erreicht hatte, entsprang keiner Arroganz, sondern seiner Tatkraft. Wie er gern zu Geiger und seinen zahlreichen Geschäftspartnern zu sagen pflegte: »Tu niemals so, als wüsstest du alles, aber sorg dafür, dass du alles erfährst.«
Der Ober kehrte zurück und wies auf die Tür in der Wand am anderen Ende des Restaurants. Neben dieser Tür standen zwei Leibwächter.
»Mr. Geiger – ins Büro, bitte.«
Geiger folgte dem Ober. Die Wachtposten nickten ihm schweigend zu, und einer von ihnen öffnete die Tür. Geiger trat in ein Büro im Stil eines Wohnzimmers mit kühlen grauen Wänden, dicken Teppichen und Möbeln aus Vogelaugenahorn und Chrom. Geiger hatte den Stil kopiert, als er den Sitzungsraum auf der Ludlow Street einrichtete.
Carmine saß auf dem Sofa; vor ihm, auf dem Couchtisch, lag das Wall Street Journal . Er erhob sich und nahm die Lesebrille ab.
»Da ist er ja«, begrüßte er Geiger grinsend. »Der Mann von Information Retrieval.«
Von Natur aus neigte Carmine dazu, nicht nur Frauen, sondern auch Männer zu umarmen. Er wusste jedoch, dass Geiger es bevorzugte, wenn Körperkontakt auf ein Minimum beschränkt blieb; deshalb beschränkte Carmine sich darauf, auf einen großen Sessel mit Seidenbezug zu weisen.
»Setzen Sie sich«, sagte er.
Der Oberkellner stand wartend in der Tür. Carmine brauchte nicht hinzusehen; er wusste, dass er dort war.
»Kenny, schwarzen Kaffee ohne Zucker für Mr. Geiger. Für mich einen doppelten X.«
Der Ober nickte und schloss leise die Tür. Beide Männer setzten sich. Geiger schwieg. Er wusste, dass er Carmine nicht drängen durfte.
»Es sind merkwürdige Zeiten, mein
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