Der Spiegel aus Bilbao
nächstliegende Vermutung
war, daß es sein Neffe Pete gewesen war, doch warum sollte Pete ihnen einen
derartig dummen Streich spielen? Von Sarah in flagranti erwischt, hätte er sich
möglicherweise damit herausreden können, daß er eine defekte Sicherung
auswechseln oder irgend etwas reparieren wollte. Was den Zugang zum
Sicherungskasten betraf, waren die beiden wohl an dem besagten Morgen drei-
oder viermal im Haus gewesen, um nachzuprüfen, ob das Wasser angestellt war und
dergleichen mehr. Sie hatten sicher erst abgeschlossen, als sie ihre Arbeit
beendet hatten und fertig zum Fortgehen waren.
Aber was hätte Pete davon
gehabt, wenn er ihnen den Strom abgestellt hätte? Er hätte es natürlich aus
reiner Bosheit tun können, vermutete sie, oder um vorzutäuschen, daß sein Onkel
allmählich zu alt für seinen Job wurde und es an der Zeit war, einen Jüngeren,
beispielsweise ihn selbst, einzustellen. Oder er hatte vermeiden wollen, daß
Sarah in den dunklen Flur kam und das Licht rechtzeitig genug anknipste, um zu
sehen, wie er den Spiegel aus Bilbao aufhängte, den er gerade bei Miffy
Tergoyne gestohlen hatte.
Es wäre auch durchaus möglich
gewesen, daß jemand ins Haus geschlichen war und den Spiegel unmittelbar nach
Miffys und Alice B.’s Inventarüberprüfung entwendet hatte, denn die beiden
waren zweifellos danach sofort in die Küche gegangen, um dort ein spätes
Frühstück einzunehmen und sich eine kleine alkoholische Stärkung zu genehmigen.
Doch warum hatte der Betreffende den Spiegel in Sarahs Haus gebracht, obwohl er
sicher wußte, daß sie bald eintreffen würde?
Warum dachte sie nicht an etwas
Vernünftiges, beispielsweise, den Elektriker kommen zu lassen, um die Leitungen
zu untersuchen? Vielleicht gab es einen lockeren Kontakt im Hauptschalter oder
irgendeinen anderen Defekt. Jedenfalls hatte der Zwischenfall mit dem Licht
gestern oben im Haus sicher nichts mit dem heutigen Feuer im Bootshaus zu tun,
oder etwa doch? Sarah wünschte sich, daß die Jungen gelogen hatten, als sie ihr
versicherten, keine Streichhölzer zu haben, aber sie hatte das unangenehme
Gefühl, daß sie die Wahrheit sagten.
«Ich kann mir zwar nicht
vorstellen, daß wir hier in Ireson Town ein Dezernat für Brandermittlung
haben«, sagte sie zu dem Einsatzleiter, »aber könnten Sie nicht vielleicht
einen Spezialisten aus irgendeiner anderen Stadt kommen lassen? Ich hasse es,
Sie noch mehr zu belästigen, als ich es schon getan habe, aber ich muß mich
sicher schon bald deswegen mit der Versicherung herumschlagen. Und mit der
Bank. Ich muß ihnen todsicher Rechenschaft ablegen.«
»Hatten Sie vielleicht Benzin
oder Öl gelagert?« erkundigte er sich. »Vielleicht für ein Boot?«
»Die Familie besaß schon lange
vor meiner Hochzeit kein Boot mehr. Ich kann mir beim besten Willen nicht
vorstellen, daß es hier irgend etwas Brennbares gegeben haben könnte, wenn man
von dem Bootshaus selbst absieht. Wenn Mr. Lomax sagt, er habe das Haus gestern
morgen inspiziert, können Sie absolut sicher sein, daß es auch stimmt. Das
bedeutet, daß auch niemand gecampt hat, von dem wir nichts wußten. Wir hatten
früher manchmal Probleme damit, deshalb schaut sich Mr. Lomax auch immer
besonders gründlich um. Außerdem haben sein Neffe und er hier in der letzten
Zeit noch mehr Zeit verbracht als gewöhnlich, weil wir momentan sehr viel zu
erledigen haben. Ich bin selbst fast jeden Tag auf dem Grundstück gewesen,
obwohl ich erst gestern offiziell eingezogen bin, wie man so schön sagt. Oh, darf
ich Ihnen meinen Mieter Mr. Bittersohn vorstellen?«
»Isaac Bittersohns Junge aus
Saugus«, erläuterte Mr. Lomax.
»Ach ja, Teufel auch, ich habe
schon gehört, daß Sie hier sind«, sagte der Einsatzleiter. »Wie geht’s Ihrem
Vater? Habt ihr übrigens schon mal die Geschichte gehört, wie wir Isaac dazu
gekriegt haben, uns ein neues Dach für die Feuerwache zu verschaffen?«
Die Feuerwehrmänner scharten
sich um ihn und ließen sich den Vorfall in allen Einzelheiten schildern. Max
lächelte und nickte, ließ sich die Hand schütteln, freundschaftlich auf den
Rücken klopfen und einladen, mal vorbeizuschauen und den Feuerwehrhund
kennenzulernen, den sie als Geste größter Hochachtung nach seinem Vater benannt
hatten. Sarah kam sich wieder einmal mehr als überflüssig vor. Während die
Männer plauderten und sich amüsierten, stocherte sie in der warmen, feuchten
Asche ihres ehemaligen Bootshauses herum und hing ihren eigenen Gedanken
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