Der Spiegel aus Bilbao
gestern morgen in Sarahs Küche, wie ihr dann
einfiel: Er hatte sich selbst alles genommen, was er wollte, ohne sie auch nur
um Erlaubnis zu bitten, und hatte sie sogar getadelt, weil ihre Kombüse
offenbar seinen Vorstellungen nicht entsprach.
Daß er Miffys Diamantenkollier
nicht gestohlen hatte, würde ebenfalls genau zu Fren passen. Er war ein gutes
Crewmitglied und daran gewöhnt, Befehle entgegenzunehmen. Wenn Don ihm sagte,
er solle das Gemälde am Kamin abhängen, würde er das, was auf dem Tisch
darunter lag, keines Blickes würdigen, sondern lediglich das Bild nehmen.
Fren hätte sicher auch Alice B.
getötet, wenn Don ihm die Axt gegeben und ihn dazu aufgefordert hätte
zuzuschlagen. Falls Alice B. die Larrington-Brüder tatsächlich ertappt und erkannt
hatte, konnten sie sie nicht am Leben lassen, weil sie sonst alles verraten
hätte.
Die sogenannte Einladung zur
Party im Yachtclub mochte ebenfalls Dons Idee gewesen sein. Die Art und Weise,
wie Fren sie vorgebracht hatte, hatte mehr nach einem Laufburschen geklungen,
der einen Auftrag ausführt, als nach einem einsamen Mann, der nach weiblicher
Begleitung schmachtete. Zweifellos hatte es ihn geärgert, daß Sarah nicht
erschienen war, nachdem er sich die Mühe gemacht hatte, sie einzuladen, doch
der Grund konnte auch darin liegen, daß man sie als Teil eines raffinierten
Alibis eingeplant hatte, das die beiden gemeinsam ausgeheckt hatten.
Vielleicht hatte aber auch Don
allein den Raubüberfall in die Wege geleitet. Don war von Beruf
Vermögensberater, und Lionel hatte schließlich gesagt, auf dem Aktienmarkt sähe
es nicht gerade rosig aus. Vielleicht hatte er Klienten, die ihr Geld in
Sachwerten anlegen wollten. Und was eignete sich dazu besser als ein Kunstwerk?
Noch besser war, die Bilder selbst zu stehlen und dann an die Klienten zu
verkaufen, 100 Prozent Profit beim Verkauf zu machen und keinen Cent
Einkommensteuer davon abzuführen. Don hätte sich sogar einreden können, daß das
Vergehen gar nicht so schlimm war, denn er wußte schließlich, daß Miffy unheimlich
gut versichert war. Sie würde für den Verlust entschädigt werden und brauchte
zudem in Zukunft keine hohen Versicherungsprämien mehr zu bezahlen. Der
Gedanke, daß Miffy die Sachen vielleicht um ihrer selbst willen mochte, würde
ihm gar nicht erst kommen.
Konnte ein derartiger Plan
überhaupt funktionieren? Max wußte es bestimmt. Wenn er doch bloß heimkäme.
Sarah ging zurück zum Kutscherhaus, aber es war immer noch nichts von ihm zu
sehen. Das Klügste wäre, nach Hause zurückzugehen und sich ins Bett zu legen,
doch nach ihrem Schläfchen war sie immer noch nicht wieder müde geworden, und
bei dem Gedanken, sich ganz allein im Haus aufzuhalten, wenn Max nicht
erreichbar war, verspürte sie ein wenig Angst. Die Sache mit dem Licht machte
ihr ebenfalls Sorgen. Warum war sie heute nicht vernünftig genug gewesen, den
Elektriker kommen zu lassen, statt sich auf einen Tag mit den Larringtons
einzulassen?
Aber es war ja nicht nur um die
Larringtons gegangen. Bradley war schließlich ebenfalls dagewesen, sie hatte
die Ganlors besucht und war endlich wieder auf See gewesen. Vielleicht konnte
sie jetzt hinunter ans Wasser gehen. Die Windböen schienen etwas nachgelassen
zu haben. Sie erreichte schließlich die lange Holztreppe und benutzte ihre
Taschenlampe, um den Weg hinunter zum Strand zu finden.
Die Ebbe hatte ihren tiefsten
Stand erreicht, und der Himmel war klar. Eine wunderbare Nacht, um die Sterne
anzuschauen und mit offenen Augen zu träumen, doch sie achtete besser darauf,
wo sie hintrat. Schließlich wollte sie sich nicht auf einem schlüpfrigen Felsen
den Knöchel verstauchen. Alexander hätte sich schrecklich aufgeregt, wenn er
gewußt hätte, daß sie hier mitten in der Nacht mutterseelenallein
herumgeisterte.
Unterhalb der Klippe war es
windgeschützter. Sarah fühlte, wie allmählich alle Sorgen von ihr abfielen und
ihr ganzes Ich sich auf das beruhigende Plätschern des Wassers über den Kieseln
einstimmte. Es war das erste Mal, daß sie seit Alexanders Tod hier war. Jetzt
kam sie an ihren Zauberfelsen, wo sie beide an jenem letzten Morgen eng
aneinandergeschmiegt in liebevoller Umarmung gesessen und Pläne für eine
Zukunft geschmiedet hatten, die niemals Wirklichkeit geworden war. Sie hatte
geglaubt, daß sie es niemals über sich bringen würde, wieder in die Nähe dieses
Felsens zu kommen. Doch heute nacht fühlte sie dabei keinen Schmerz.
Sarah kletterte
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