Der Spiegel der Königin
Kester Leven sah mit einem Mal so aus, als hätte er Honig erwartet und Essig bekommen.
»Aber Majestät«, wandte er zähneknirschend ein. »Sie wissen nichts über sie. Sie ist … ein Hurenkind. Ihr Vater war ein s chwedischer Soldat und seine deutsche Buhle starb auf einem Schlachtfeld, noch bevor die Tochter zwei Ja h re alt war. Er ließ den Bastard nach Schweden zu seiner Schwester bringen. Als diese starb, nahm die Familie Gudmund sie auf, bis ihr Vater heimkehren wü r de. Nur holte er sie dort nie ab, weil er ebenfalls starb. In ihrer Güte zogen die Gudmunds das Kind auf. Und als ihr Erbe als Unterhaltsgeld aufgezehrt war und die Fam i lie Gudmund keine Mittel mehr hatte, um ihren Leben s unterhalt zu bestreiten, bat ich den Herrn Bischof, sie au f zunehmen – für diesen einen Winter, bis sie sich selbst in der Stadt verdingen kann. Wie Sie wissen, war ich früher Pfarrer in Gamla Uppsala und kenne die Fam i lien dort gut. Aber ich ahnte nicht, dass dieses Mädchen so … u n dankbar ist.«
Elin ballte ihre Hände zu Fäusten und kämpfte gegen die Tränen an.
»Ich bin nicht undankbar«, entfuhr es ihr. »Und wer auch immer meine Mutter gewesen ist, sie hat genauso an Gott geglaubt wie Sie.« Die plötzliche Schärfe ihrer Worte wurde ihr erst in dem Moment bewusst, als sie den Satz aussprach. Unwillkürlich zog sie die Schultern hoch. In Gudmunds Haus hätte sie für eine solche Unve r schämtheit eine Ohrfeige eingesteckt.
»Also zur Hälfte eine Hure und zur Hälfte ein Soldat«, erwiderte die Königin trocken. »Sicher nicht die schlec h teste Mischung, um sich durchs Leben zu schlagen. Und ehrlich ist sie auch. Was man nicht von allen hier b e haupten kann.« Olof blickte zu Boden.
»Elin Asenban hat das Medaillon nicht gestohlen«, verkündete die Königin. »Meine liebe Freundin Ebba ist ihr sehr d ankbar, dass sie das Schmuckstück wieder g e funden hat. Ich verlasse mich darauf, dass Emilia nicht länger verdächtigt wird und dass Elin morgen Früh in der Ei n gangshalle wartet und zur Reise bereit ist.« Sie lehnte sich zurück und blickte sich in der Runde um. »Wir h a ben unsere Gäste lange genug warten lassen, denke ich. Gehen Sie schon voraus!« Auf ihren Wink zogen sich die Höflinge zurück. Ihr Getuschel und Gekicher war noch lange im Gang zu hören. Der Sekretär warf Elin noch einen drohenden Blick zu, machte nach einer zackigen Verbeugung auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
»Ich danke dir!«, rief Ebba Sparre der Königin zu. »Ich wusste, dass die Kleine hier unschuldig ist. Du hast klug entschieden!«
»Freu dich nicht zu früh, Belle«, entgegnete die Kön i gin. »Wenn ich sie richtig einschätze, werden wir auf Tre Kronor noch genug Ärger mit ihr haben.«
Tre Kronor! Beim Gedanken an das Schloss zu Stoc k holm wurde Elin schwindlig. Emilia erzählte jede Nacht davon – in Stockholm waren alle Häuser schön und sa u ber, die vergoldeten Giebel blendeten jeden, der zu ihnen hochsah, die Arbeit war leicht und die Schiffe aus fernen Ländern brachten prachtvolle Stoffe, duftende Gewürze und Wein, so schwer und süß wie Nektar.
»Oh, wer so gut auf meinen Schmuck aufpasst, für den wird sich schon eine Aufgabe finden«, erwiderte Fräulein Ebba. Ihr Lächeln spiegelte sich im Gesicht der Königin wider und ließ es ein wenig weicher aussehen.
»Wie du meinst«, schloss Kristina das Gespräch. Schwungvoll stand sie auf und ging um den Tisch herum, bis sie direkt v or Elin stand. Erst jetzt fiel Elin eine sel t same Unregelmäßigkeit auf: Die rechte Schulter der K ö nigin stand ein wenig höher als die linke. War Kristina verletzt ?
»Wie alt bist du?«
»Fünfzehn, Ihre Majestät.«
»Lass das Knicksen und sieh mich an! Sag mir ganz ehrlich: Warum hat dich Leven wirklich von Gudmunds Hof geholt?«
Elin holte tief Luft. Blitzschnell überlegte sie sich eine Hand voll höflicher Antworten, aber jede von ihnen klang falsch. Schließlich entschied sie sich für die ei n fachste.
»Weil … viele Leute zugeschaut haben. Der Pfarrer war da und zwei andere Gutsbesitzer, die beratschlagten, was mit mir geschehen sollte. Sie waren sehr beeindruckt von Herrn Levens Mildtätigkeit und Güte.«
Die Königin warf den Kopf zurück und brach in scha l lendes Gelächter aus.
»Hör dir das an, Belle!«, rief sie Ebba Sparre zu. »Dumm ist sie auch nicht. Oh, das Mädchen wird es auf Tre Kronor wahrhaftig nicht leicht haben!«
Zügel im Schnee
» Das
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