Der Spiegel der Königin
war.«
»Glaubst du, dass meine Mutter eine Hure war?«
»Das wird wohl niemand je erfahren – und es ist auch nicht wichtig, Elin. Du bist ein gutes, anständiges Mä d chen. Komm, ich erzähle dir noch ein wenig von Stoc k holm. Als ich aus Finnland kam, war ich kaum älter als du. Und ich fand sofort Arbeit …«
»… auf dem Köpmantorget, dem Kaufmannplatz. Du hast Fisch verkauft.«
»Genau. Nicht weit davon liegt das Fischufer, wo Schiffe von den Schären anlegen. Dort ist auch der grö ß te Marktplatz der Stadt.«
»Und dann hat Elias dein Haar gesehen und dich g e fragt, ob du die Kupferfee aus den Minen von Falun bist.«
»Erzählst du die Geschichte oder ich ? Ja, Elias war nie um einen Satz verlegen. Er war ein Mälarfischer und b e saß zwei Boote. › Von den zwei Meeren sind wir uns en t gegengefahren ‹ , sagte er immer. Wir hatten ein Leben wie im Paradies am Köpmanporten.« Emilia seufzte tief. »Ich lernte damals sogar lesen und rechnen, das brauchte ich für den Fischhandel. Ach, wären wir doch nur nie nach Uppsala gegangen! Wer hat uns dazu getrieben, die Boote zu verkaufen und unser Glück auf einem Hof zu suchen ? Zehn Jahre drückten uns die Schulden, die Ste u ern wuchsen und wuchsen. In dieser Zeit war es ein S e gen, deine Tante zu kennen. Sie hat uns so oft geho l fen. Wir hatten kein Geld, nach Stockholm zurückzuke h ren, kein Geld, den Hof zu halten. Und dann der Krieg in den deutschen Ländern, der seit bald dreißig Jahren Me n schen und Geld frisst.
Wie viele Jahre haben wir nur für diesen elenden Krieg geschuftet? Und was hat er uns wirklich gekostet! Dich deine Familie, mich meinen Mann. Und alles nur, weil die einen Katholiken sind und die anderen Prote s tanten. Als wären wir nicht alle Menschen.« Elin e r schrak.
»Lass solche Sätze nicht Greta oder die anderen h ö ren!«
Emilia hustete dumpf und holte tief Luft. »Was soll mir denn noch Schlimmeres zustoßen?« Ihre Stimme wurde so leise, dass Elin sie kaum hörte. »Als die Nac h richt von Elias ’ Tod eintraf, wollte ich mich hinlegen und die Augen nie wieder aufmachen. Ich wollte den Himmel nicht mehr sehen, der mir das angetan hat. Ich weiß nicht einmal, ob auf dem Schlachtfeld ein Wundarzt bei ihm war oder ob er …«
»Hör auf, Emilia!«, unterbrach Elin sie sanft. »Solche Gedanken zehren dich aus.«
»Ich weiß, ich weiß. Mein Herz tut so weh, dass ich kaum atmen kann. Und hier unter der Rippe sticht es, als würde ich auf einer Nadel liegen.« Sie seufzte tief. »Da wollte ich dir von der goldenen Stadt erzählen und w o von rede ich ? Von diesem unseligen Krieg.« Elin schwieg und dachte an ihren Vater. Manchmal, wenn sie träumte, winkte er ihr zu – ein großer Mann ohne G e sicht, mal mit dunklem Haar, mal mit kahlem Schädel.
Unter dem Fenster ging jemand mit einer Fackel vo r bei. Licht huschte durch die Kammer. Wie immer sah Emilia erschöpft und verblüht aus, aber sie lächelte ta p fer.
»Meine Kleine«, flüsterte sie. »Ich wünsche dir so viel Glück! Du wirst bald von besseren Tellern essen.«
Zu so früher Stunde lag die Empfangshalle verwaist da wie die verwunschenen Schlösser in den Trollmärchen. Die Kälte der Nacht hatte mit eisigen Fingern bizarre Blumen an die Fenster gemalt. Elin zog ihr Wolltuch um die Schultern und drückte das Bündel mit ihren Habs e ligkeiten noch fester an sich. In der Kleiderkammer re i nigte Victor die Mäntel. Das regelmäßige, schleifende Geräusch der Bürste hatte etwas Beruhigendes. Gerade schlug eine Standuhr, die metallischen Schläge klangen durch die Flure und verhallten erst am Fuß der Treppe. Elin bewegte stumm die Lippen und zählte mit. Fünf Uhr. In der Küche wurden jetzt die ersten Feuer geschürt, Diener brachten frisches Feuerholz zu den Gemächern, und der Bischof würde sich in seiner Residenz in Kürze darauf vorbereiten, sein Frühstück einzunehmen und die Morgenaudienz zu halten. Noch waren die Räume kalt und klamm von der Nacht.
Victor eilte vorbei und lächelte ihr aufmunternd zu.
Für den Augenblick, den eine Schneeflocke brauchte, um an ein warmes Fenster zu fliegen und zu schmelzen, sehnte sie sich nach ihrem alten Leben zurück. Es hätte ihr genügt, woanders arbeiten zu können – solange sie nur weit genug entfernt von Greta wäre. Am liebsten w ä re sie immer hier stehen geblieben – zwischen Küche und Tre Kronor.
Schritte erklangen auf der Treppe. Elin drückte sich näher an das Geländer. Ein
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