Der Spiegel der Königin
eckigen Innenhof der Burg. Als sei damit ein Bann von i h nen genommen, schnatterten alle Damen im Schlitten gleichzeitig los. Die Kutschentür flog auf und die bla u gelbe Livree eines Dieners leuchtete auf. »Los, los!«, scheuchte eine plötzlich lebhaft gewordene Lovisa Elin auf. »Steig schon aus!«
Nach den unzähligen Stunden im Schlitten kam es Elin so vor, als würde sie schwankenden Boden betreten. Aus den anderen Schlitten quollen Röcke und mit Pelz umnähte Mäntel. Diener kamen herbeigelaufen, trugen Truhen, Packen von Stoff, Körbe und Kästen davon. Elin drückte ihr Bündel an sich und sah sich mit bangem He r zen um. Noch nie hatte sie sich so verloren gefühlt. Von weitem sah sie Magnus de la Gardie und die drei Franz o sen aus dem Schlitten steigen. Der junge Marquis ließ sich stützen, sein Knie sah noch dicker aus als vor zwei Tagen.
TEIL II
Tre Kronor
D as Leben im Schloss war weder golden noch ei n fach. Es steckte voller Stolperfallen und versteckter R e geln, von denen Elin nichts wusste – bis zu dem Moment, in dem sie sie übertrat. Das neue Mieder, das ihr zwar auf den Leib geschneidert war, aber umso enger saß, war bei weitem nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das Verbot, Wasser zu trinken. Wein und Bier, so rieten die Ärzte der Königin, seien gesünder als Wasser, das veru n reinigt sein konnte. Selbst als Elin darum bat, Dünnbier trinken zu dürfen, wurde ihr diese Bitte verwehrt.
»Das ist etwas für arme Leute«, wies Tilda sie mit gu t mütigem Spott zurecht. »Denkst du etwa, das, was die K ö nigin trinkt, sei nicht gut genug für dich?« So blieb Elin nichts anderes übrig, als sich so oft wie möglich aus der Kammer zu schleichen. Über Arkadengänge und Treppen erreichte sie die Räume im Ostflügel des Schlo s ses, wo sie heimlich frisch gefallenen Schnee von einem Fenstersims kratzte und ihn auf der Zunge zergehen ließ. In diesen A u genblicken war die Sehnsucht nach Emilia nicht mehr ganz so schlimm. Der Wind und der frische Geschmack von Winter gaben ihr das Gefühl, wieder l e bendig zu werden. Längst kam es ihr so vor, als würde sie das Leben nur noch durch Glasfenster be o bach t en. Die Nord - und Ostmauern fielen direkt zum H a fen ab – so nah stand das Schloss am Wasser, dass es aussah, als könnte ein Kapitän, der mit se i nem Schiff am Schloss vorbeifuhr, seine Hand über die Reling strecken und das Gemäuer berühren. Elin betrac h tete die Eisangler und staunte über die Bürger und Adl i gen, die sich Kufen unter die Schuhe gebunden hatten und über den zugefrorenen See glitten. Ein aus Backste i nen erbauter Palast auf dem Festland faszinierte sie b e sonders – nicht weit von ihm befand sich die Brücke zu Skeppsholm, der »Schiff s insel«, auf der sich die Werft befand. Selbst jetzt im Wi n ter brannten dort vereinzelt Feuer, über denen die Spanten für die Kriegsschiffe g e trocknet und dabei in Form gebogen wurden. Und weit draußen auf dem Wasser lag auch noch Djurgä r den, der »Tiergarten«, die bewaldete Jagdinsel der Kön i gin.
Elins Welt dagegen war mit einem Mal zu einem wi n zigen Fleck zusammengeschrumpft. Immer wenn sie aus einem der vielen Fenster in die Tiefe blickte – in die ve r winkelten, schattigen Höfe des Schlosses, wurde ihr schwindlig. Doch im Inneren des Schlosses fürchtete sie sich ebenso – zum Beispiel davor, die kostbaren Möbel zu berühren. Ständig war sie peinlich bemüht, genug A b stand zwischen ihrem Rock und den Wandteppichen zu halten. Zu allem Überfluss hatte Lovisa ihr einen Stof f wulst um die Hüfte gebunden, der »Weiberspeck« hieß und die Taille betonen sollte, aber Elin kam sich damit vor, als trüge sie unter ihrem schweren Rock riesige T a schen, mit denen sie durch keine Tür mehr passte. Manchmal blieb sie stehen und betrachtete aus sicherer Entfernung die Stickereien.
»Kind, du bist doch kein Geist!«, rief Lovisa, als sie Elin lautlos und eilig vorbeihuschen sah. »Meine Güte, du trampelst entweder wie ein Bauer oder schleichst wie ein Nebelschweif! Lauf anmutig!«
»Ich will nicht anmutig laufen, ich will endlich eine Arbeit.«
»Und widersprich nicht ständig.«
»Dann gib mir eine Aufgabe!«
»Du hast jede Menge Aufgaben: Du musst lernen, a n mutig zu gehen, mit dem Besteck zu essen, zu sticken und dich zu benehmen. Vorher kommst du mir nicht einmal in die Nähe der Königin, geschweige denn an die Festtafel.«
»Ich will nicht an die
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