Der Spiegel der Königin
mein Gemach und lass dir von meinem Diener zwanzig silberne Ecu geben.« Henri schoss von seinem Stuhl hoch und empfahl sich mit einer steifen Verbeugung. Sein Gesicht war ebenso rot wie das von Elin. Mit einer zierlichen Geste nahm die Marquise die Serviette und tupfte sich die Mundwinkel ab. Dann winkte sie dem Diener, ihren Stuhl nach hinten zu r ü cken. »Ich werde mich ebenfalls für einen Augenblick entschuldigen!«, sagte sie mit einem charmanten L ä cheln.
»Madame, ich bitte Sie, nehmen Sie wieder Platz!« Die Stimme der Königin brachte die Menschen am Tisch zum Schweigen. Sie war nicht aufgestanden, trotzdem schien sie Elin und alle anderen zu überragen. Sie wandte sich an die Grafenfamilie und sprach auf Französisch einige versöhnliche Worte. Für Elin zu schnell, um sie verstehen zu können. Die Marquise lächelte höflich und nahm wieder Platz. Henri dagegen setzte sich erst auf einen gezischten Befehl seiner Mutter wieder hin. Dann wandte sich Kristina an Elin. Ihre Augen blitzten vor Wut.
»Du beleidigst meine Gäste?«, fuhr sie Elin auf Schwedisch an. »Jemandem das Leben zu retten ist eine Ehre, keine Arbeit, für die du Lohn erhältst. Ich dachte, man hätte dir ein Mindestmaß an Anstand beigebracht! Der wahre Held ist bescheiden und schweigt über seine Taten.«
»Aber Majestät!«, wandte Elin ein. Ihre Fingernägel drückten schmerzhafte Halbmonde in ihre Handflächen. »Das Geld bedeutet mir nichts. Darum ging es nicht. Wenn Sie an meiner Stelle wären …«
»An deiner Stelle?«, donnerte Kristina. »Du wagst es, dich mit mir zu vergleichen?« Die Musik kam endgültig aus dem Takt und verstummte.
»Nein«, stotterte Elin. »Ich wollte nur …«
»Schweig! Mademoiselle hat wohl vergessen, wo sie herkommt und wo sie offenbar immer noch hingehört. Vielleicht fällt es dir wieder ein, wenn du in die Küche zurückkehrst. Jetzt sofort!«
Elin stand auf. Der Raum schien zu schwanken. Die vielen Gesichter verschwammen vor ihren Augen. Im Saal war es totenstill geworden. Der junge Marquis war blass. In seiner Miene lag nicht mehr die geringste Spur von Ve r achtung. Er sah so unglücklich aus, wie Elin sich füh l te.
»Herr Freinsheim, seien Sie so freundlich und reichen Sie meiner menschlichen Zündschnur zum Abschied doch bitte ein Konfekt«, sagte Kristina mit kalter Sti m me. »Vielleicht ist das ja eine Möglichkeit, ihren vorla u ten Mund zu stopfen.« Höflich lachten die schwedischen Tischgäste und nahmen nach und nach ihre Gespräche wieder auf. Murmeln füllte den Saal, die Violinen setzten wieder ein. Der Bibliothekar erhob sich und reichte Elin mit einem mitfühlenden Lächeln eine silberne Konfek t schale. Die Königin hatte sich halb abgewandt und wü r digte Elin keines Blickes mehr. Mit Tränen in den Augen machte Elin einen hastigen Hof knicks und ging.
Wie sie zu Lovisas Tisch zurückgekommen war, wus s te sie nicht. Die Lichter und Farben verschwammen vor ihren Augen, so sehr kämpfte sie gegen die Tränen an. Die alte Kammerfrau schalt Elin nicht, sondern stand auf und zog sie unter einem Vorwand aus dem Saal. Erst in der leeren Vorhalle richtete sie das Wort an sie.
»Schluck die Tränen runter«, sagte sie sanft. »Das ru i niert nur das Wangenrouge.«
»Zum Henker mit dem verdammten Rouge!«
»Hör auf zu fluchen!«
»Warum ? Was soll dieses höfliche Getue ? Sie sind a l le … so falsch!«
»Seht! Wie kannst du so etwas sagen!«
»Für den Grafen bin ich Ungeziefer.«
»Was hast du erwartet?«, gab Lovisa unbarmherzig zurück. »Ein Esel merkt erst, dass er ein Esel ist, wenn er in die Gesellschaft von Rössern kommt. Die gräfliche Familie behandelt dich nun einmal deinem Stand en t sprechend. Du bist keine Adlige, sondern die Tochter eines einfachen Soldaten und einer unbekannten Mutter, mag sie nun eine Lagerdirne gewesen sein oder nicht. Am besten, du freundest dich mit dieser Tatsache an und nimmst den anderen ihre Zielscheibe.«
»Ich will den Riksdaler haben«, fuhr Elin die alte D a me plötzlich an. »Jetzt sofort! Ich gebe ihn dem Marquis zurück. Ich will sein verfluchtes Geld nicht!«
Entschieden schüttelte Lovisa den Kopf.
»Eine Frau kann es sich nicht leisten, aus Stolz Geld wegzuwerfen. Der Taler ist nur Metall – aber er bedeutet sehr viel mehr als das. Eines Tages kann er darüber en t scheiden, ob du dich frei fühlst oder unfrei wie eine Magd«, erwiderte sie ruhig. »Solange du diese Tatsache nicht zu schätzen weißt, wirst
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