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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: balzon
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Atem und gaben dem Garten einen Heiligenschein. Neben einem Baum glaubte Elin auf einmal eine Gestalt zu erkennen. Reglos stand sie auf einem Teppich aus Nebel.
    »Emilia?«, flüsterte Elin. Sie legte die Hand an die Scheibe und sah genauer hin. Es war nicht die finnische Magd. Mögli c herweise war es nur eine Nebelsäule. Vie l leicht träumte Elin aber auch nur, denn die Gestalt winkte ihr zu. Ihr Gesicht konnte sie von ihrem Standort aus nicht erkennen – aber das Haar war lang und beinahe weiß, wie das von Elin.

 
    Der Mann mit dem Federhut
     
     
     
    Während der Jultage sprach man an den Kaminfeuern viel über die Gespenster, die in dieser dunkelsten Zeit des Jahres um die Häuser der Menschen schlichen. Solange Elin mit den anderen am großen Kamin saß, konnte sie darüber lachen, aber sie vermied es, noch einmal in den nebligen, düsteren Garten zu blicken. Die Räume des Schlosses dufteten nach frisch geschnittenen Tannen - und Kiefernzweigen, die als Julschmuck aufgehängt worden waren. Wacholderzweige und Efeublätter lagen auf den Tischen. Elins Reitstunden fanden bei Facke l schein statt. Lovisa schien allerdings wild entschlossen, dem täglichen Reitunterricht etwas weniger Unzüchtiges entgegenzusetzen. Vor ihren religiösen Lektionen gab es kein Entkommen. Sie las Elin aus den Büchern Mose vor, ließ sie die Psalme Davids auswendig lernen und natürlich, wie es sich für jeden guten Gläubigen gehörte, nahm das Studium des lutherischen Katechismus kein Ende. Das, worauf sich Elin nach den religiösen Unte r weisungen am meisten freute, waren die Fabeln des Äsop, die Lovisa ihr auf Französisch vorlas. Bald verstand sie mehr als nur ein paar Worte und es machte ihr diebischen Spaß, sich unwissend zu stellen und den anderen Damen beim Plaudern zuzuhören. Die schwin d süchtige Madame Joulain war noch schmaler geworden und strahlte m it ihren brennenden Augen und der blassen Haut i n zwischen die morbide Schönheit einer Todesfee aus. Ununterbrochen beklagte sie sich über »die barbar i sche Kä l te und die Menschen, die so steif und humorlos sind, dass sie an trockenes Holz erinnern«. Jeden Tag fragte sie L o visa, wie lange es noch dauern würde, bis endlich das Eis im Hafen brechen würde. Elin fand den Gedanken, dass der junge Marquis dann mit dem näch s ten Schiff davonsegeln würde, sehr beruhigend. Aus e i nigen Gespräch s fetzen hatte sie herausgehört, dass die französischen G ä ste in Paris lebten, aber aus einem Landstrich stammten, der sich »Bretagne« nannte, und dort einen Erbschaftsstreit um Ländereien am Meer ve r loren hatten.
    Königin Kristina strahlte in diesen Tagen hell wie die Sonne selbst. Ihr Lachen hallte durch die Räume, sie plauderte mit den Gästen und scheuchte Musiker, Schneider und die jungen Kavaliere von Magnus de la Gardie herum. Etwas war im Gange. Manchmal, wenn Elin durch die Flure lief, hörte sie rhythmisches Stam p fen und eine fremde, haarfeine Musik, die wie ein mel o disches Weinen klang. Hofdamen huschten mit Stoffba h nen über dem Arm vorbei. Was es damit auf sich hatte, verriet ihr Lovisa erst am Morgen des Julfestes.
    »Heute Abend werden wir ein richtiges Ballett s e hen!«, rief ihr die alte Hofdame zu. »Um Himmels wi l len, unsere übermütige Königin hat sogar versucht, mich altes Schlachtross auf den Tanzboden zu zerren! Ihr ist wirklich nichts heilig.«
    »Was ist ein Ballett?«
    »Nun, ein Tanz aus Frankreich – und ähnlich unsittlich wie das Reiten im Männersitz.« Ihren Worten zum Trotz blitzte die Vorfreude Lovisa nur so aus den Augen. »Im obersten Stock des Schlosses lässt Kristina ein Theater nach it a lienischem Vorbild bauen. Wenn es ganz fertig ist, wird es sogar Maschinen geben, die Donner und Blitz erze u gen können. Zum Julbankett heute hat Kristina auch die Mädchen und dich geladen. Mach mir ja keine Schande!«
    Lovisa wollte sich jedoch nicht allein auf ihre Erma h nung verlassen und steckte Elin in ein züchtiges Kleid mit hochgeschlossener Chemise. Offensichtlich hoffte die Hofdame, ihr Zögling würde in diesem schlichten Gewand so gut wie unsichtbar werden. Elin ertappte sich dabei, wie sie am späten Nachmittag vor einem Spiegel stehen blieb und sich kritisch betrachtete. Sie sah aus wie eine junge Witwe, stellte sie fest. Aber immerhin wie eine lächelnde Witwe, die vor Aufregung rote Wangen hatte.
    Die Pracht, die sie am Julabend zu sehen bekam, übe r stieg selbst die Bilder vom Hofleben, die

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