Der Spiegel der Königin
leise.
»Inzwischen weiß jeder im Schloss, dass in wenigen Tagen das Schlittentu rn ier für die Damen stattfindet und dass die Kavaliere am Mälarsee zur Jagd gehen werden. Lars sagte mir, Sie reiten immer auf der Jagd mit.«
»Diesmal nicht. Magnus und Karl Gustav werden meine Gäste begleiten.«
»Vielleicht wäre es klug, wenn Sie verlautbaren li e ßen, dass Sie doch an der Jagd teilnehmen. Dann könnte ich Ausschau nach ihm halten.«
»Wer sagt, dass du an der Jagd teilnehmen darfst!«, fuhr Kristina sie an. »Du kannst noch nicht gleichzeitig auf dein Pferd und auf die anderen Reiter achten. Wozu habe ich Gardisten und Vertraute?«
»Aber ich bin die Einzige, die dem Mann schon ei n mal begegnet ist. Auch wenn ich sein Gesicht nicht ges e hen habe, würde ich ihn erkennen – da bin ich ganz s i cher!«
»Meine Soldaten sind durchaus in der Lage, verdäc h tige Personen zu erkennen. Dazu brauche ich verdammt noch mal kein kleines Mädchen.«
»Aber …«
»Kein Aber! Du bleibst im Schloss.« Elin drängte die Tränen der Enttäuschung zurück. Die Königin schloss die Augen. Schweißperlen hatten sich auf ihrer Stirn gebi l det. Sie entzog Elin ihre Hand und krümmte sich zusa m men.
»Sag meinem Diener, er soll Doktor van Wullen h o len«, sagte sie nach einer Weile leise.
Der Leibarzt der Königin, der gleich darauf erschien, trug eine Perücke, die ihm bis über die Schultern fiel. Unter dem Arm hielt er einen lederbespannten rechteck i gen Kasten. Mit schnellem Schritt ging er zum Bett der Königin und beugte sich über sie. Elin blieb neben der Tür stehen, das Buch mit dem kostbaren Brief an sich gepresst. Mit einem Murmeln antwortete die Königin dem Leibarzt auf seine Fragen.
»Schmerzen«, flüsterte sie. »Hier.« Van Wullen nic k te.
»Wie immer das linke Hypochondrium«, sagte er streng. »Sie leiden an zu viel gelber Galle, die sich mit schwarzer Galle vermengt. Ihr Magen ist geschädigt. Und wenn ich mich nicht irre, sehe ich auch schon die Ursache, Majestät.« Mit diesen Worten beugte er sich über das Tischchen neben Kr i stinas Bett und hob einen weißen Krug hoch. Angewidert roch er daran und schü t telte den Kopf.
»Schon wieder Wasser, Majestät. Ich sagte Ihnen b e reits, dass es Ihr Blut verdirbt. Mit ihm dringen schädl i che Stoffe in Ihren Körper und verunreinigen die Körpe r säfte. Haben Sie denn nicht den gepfefferten Branntwein getrunken, den ich Ihnen bringen ließ?«
Die Königin schüttelte den Kopf. Jetzt wurde van Wullen ernsthaft wütend. Mit einer akkuraten Bewegung klappte er den kleinen Kasten auf. Schimmernde Zangen, Nadeln und Skalpelle kamen zum Vorschein. Van Wu l len suchte das Aderlassbesteck heraus.
»Das schlechte Blut muss abfließen.«
Von einem weiteren Tisch holte er eine Schüssel und entnahm dem Kästchen ein Lederband, das er der Kön i gin um den Oberarm schlang. Behutsam schob er die Schüssel unter den Ellenbogen. Schlaff hing Kristinas Arm über den Bettrand nach unten. Mit einem routinie r ten Griff ertastete der Arzt eine Stelle in der Armbeuge. Die Lider der Königin zuckten nicht einmal, als das Skalpell in ihre Haut fuhr. Blut begann zu fließen und sammelte sich in der Schale.
»Sie sollten keinen Besuch mehr empfangen«, sagte der Arzt. »Es strengt Sie zu sehr an. Auch so wird es la n ge dauern, bis Sie sich erholt haben.«
»Sie irren sich«, antwortete Kristina mit geschlossenen Augen. »Ich werde an der Jagd teilnehmen!«
Im Innenhof des Schlosses ging es zu wie auf einem Marktplatz. Mit offenem Mund betrachtete Elin den prachtvollen Schlitten der Familie Oxenstierna. Der Reichskanzler und sein Vetter, der Schatzkanzler Gabriel Oxenstierna, waren in altehrwürdigem Ornat erschienen und boten ihren Damen die Plätze in zwei mit rotem L e der bespannten Schlitten an. Adelsherren aus dem Reichsrat waren mit ihren Töchtern und Frauen ebenso vertreten wie deren Söhne auf Streitrössern, die nicht minder jung und aufbrausend waren wie ihre Herren.
Die halbe Nacht lang war Elin immer und immer wi e der ihren Plan durchgegangen, doch immer noch schnürte die Angst ihr die Kehle zu. Der Reitmantel einer Hofd a me, den sie ohne Lovisas Erlaubnis aus einer der Kleide r truhen entwendet hatte, zog schwer an ihren Schultern. Hoffentlich hatte sie an alles gedacht! Freinsheim glau b te, sie müsse Lovisa helfen, Lovisa hatte sie gesagt, sie sei in der Bibliothek, und Fräulein Ebba, die heute bei der Kön i gin blieb, hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher