Der Spiegel der Königin
konnte sich kaum einen Reim machen auf die Buchstaben, die i r gendwo, weit weg in Deutschland, ein Botschafter auf das Papier geschrieben hatte.
»… konnten keinen Namen und keinerlei Auskunft bekommen«, las Hampus fast flüsternd vor. Elin blinzelte und reckte das Kinn in die Höhe. Mit zusammengepres s ten Lippen blickte sie aufs Wasser. Sie würde nicht we i nen. Nicht heute. An diesem Tag war der Himmel so klar, dass man von hier oben sogar die Schären sehen konnte – Lovisa hatte ihr erzählt, dass es tausende so l cher Inseln gab, manche nur wenige Bootslängen vonei n ander entfernt, felsig und nackt oder mit kleinen Wäl d chen, ein zerklüfteter Archipel. Es war aussichtslos, sie zu zählen, aber immer noch einfacher als die Aufgabe, eine fremde Frau mit weißblondem Haar zu finden, die irgendwann, vor sechzehn Jahren, am Rand eines Schlachtfelds das Kind eines schwedischen Soldaten zur Welt gebracht hatte.
»Du wirst sie f inden «, sagte Hampus leise. »Wenn der Krieg erst vorbei ist, wirst du reisen und dir selbst ein Bild machen können. So viele Aufzeichnungen sind im Krieg zerstört worden. Unzählige Kirchen haben g e brannt …«
»Ich weiß.« Elins Antwort klang schärfer, als sie b e absichtigt hatte, aber diesmal war Hampus nicht g e kränkt. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran.
»Du bist nicht allein, Elin«, murmelte er. »Du hast Kristina, du hast Lovisa und Herrn Freinsheim – und du hast mich.«
»Dich? Du fährst doch demnächst für mehrere W o chen nach Uppsala zur Akademie.« Sie starrte das Gras zu ihren Füßen an. »Hampus … würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Jeden, Elin. Das weißt du doch.«
»Könntest du … noch einmal bei den Gudmunds nac h fragen? Sie haben gemeldet, dass sie nichts über meine Eltern wissen – aber ich glaube es erst, wenn sie es auch dir gesagt haben. Und könntest du … Emilia einen Brief und ein paar Riksdaler bringen ? «
»Das sind aber zwei Gefallen.«
»Bitte!«
Hampus lächelte ihr besänftigend zu.
»Natürlich werde ich Emilia besuchen. Mach dir nicht so viele Sorgen.«
Die Flüssigkeit, in der sich die schwarzen Würmer wa n den, war ganz gewöhnliches Teichwasser. Auf Elins Schreibtisch zwischen Pergament und Büchern wirkte das Glas jedoch einigermaßen seltsam.
»Hirudo medicinalis«, sagte Hampus geheimnisvoll. »Blutegel. Sie saugen das schlechte Blut aus dem Körper und schwächen den Kranken sehr viel weniger als ein Aderlass. Wenn die Theorie stimmt, dass in unserem Körper nur eine bestimmte Menge Blut im Kreis g e pumpt wird, ist es eher schädlich, dem Körper viel Blut zu entziehen.« Er beugte sich näher zu Elin und senkte seine Stimme. »Bist du nicht auch erstaunt, wie sehr u n sere glitschigen Freunde hier den Höflingen ähneln? Der dahinten heißt Johan Oxenstierna.« Elin kicherte.
»Hier wird nicht getuschelt«, fuhr Lovisas herrische Stimme dazwischen. Zu Elins Überraschung stand Ha m pus sofort auf und machte einen Schritt zur Seite.
»Entschuldigen Sie«, murmelte er verlegen. »Ich wol l te nicht unhöflich sein.«
»Das warst du aber«, sagte Lovisa. »Denke daran, du bist ein junger Mann und Fräulein Elin noch ein Mä d chen. Ein anständiges Mädchen«, setzte sie mit Nac h druck hinzu.
»Ich stimme Ihnen vollkommen zu«, sagte Hampus galant. »Ich muss mich ohnehin verabschieden – ich habe meiner Tante versprochen, sie zum Markt zu begleiten.«
Er verbeugte sich übertrieben tief erst vor der Hofd a me, dann mit einem Zwinkern vor Elin, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und schnell den Raum verließ. Kop f schüttelnd sah Lovisa ihm nach.
»Es ist keine gute Idee, diesen Studenten in deinem Privatgemach zu empfangen.«
»Die Tür steht offen. Und außerdem ist er mein Freund!« Lovisa verschränkte die Arme. In den verga n genen Wochen hatte die Kammerfrau sich sehr verändert. Je heller die Som m ersonne schien, desto düsterer wurde ihr Gemüt. Einmal hatte Elin sie dabei ertappt, wie sie im Ostflügel am Fenster stand und weinend auf das Wasser blickte, aber Lovisa wollte nicht verraten, was ihr Ku m mer bere i tete.
»Freunde kannst du dir leisten, sobald du einen Eh e mann hast«, knurrte sie jetzt. »Bis dahin bringt es dich nur in Verruf. Weißt du nicht, wie über dich getuschelt wird?«
»Lass die Gänse doch schnattern.«
»Du hast leicht reden. Herr Hampus hat schließlich keinen Ruf zu verlieren.«
»Aber ich schon ? «
»Nein, du
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