Der Spiegel der Königin
heran und legte den Arm um ihre Schulter. Irritiert zog sie die Brauen zusammen. »Hat Lovisa dich doch noch überredet, hohe Schuhe zu tr a gen?« Mit energischen Schritten ging sie um Elin herum, lüpfte respektlos ihre Röcke bis zum Knie und schüttelte beim Anblick der flachen Lederschuhe den Kopf. »Belle, sieh dir das an! Sie wagt es tatsächlich, auf ihre Königin herabzuschauen! Wer zum Henker hat dir erlaubt zu wachsen?« Kristinas Lachen war herzlich und rau z u gleich. Wieder einmal war Elin verwirrt von der Sprun g haftigkeit ihres Gemüts. »Vor lauter Regieren und St u dieren habe ich gar nicht bemerkt, wie hübsch du gewo r den bist. Du solltest in meinem Ballett tanzen! Du wärst eine wunderbare Jagdgöttin Diana!«
»Sie wissen, dass ich nicht gerne tanze.«
»Eine Sünde. Du und meine Belle auf der Bühne – was für ein wunderbarer Anblick wäre das! Aber hör zu, Elin – ich möchte dir etwas schenken. Schönheit vergeht, die Kunst ist ewig. Deshalb schenke ich dir ein Porträt. Mein Hofmaler David Beck wird es anfertigen. Ein schönes, großes Gemälde für dich – und ein kleines Por t rät für mich. Damit ich mich, wo ich auch bin, immer an dich erinnere.«
Elin schnappte nach Luft. Ihr Zorn wich der Verzwei f lung. In diesem Moment bedeutete ihr das Geschenk der Königin nichts. Schwer wie eine nicht eingelöste Schuld lag Henris Zaumzeug in ihrer Hand.
»Danke, Majestät«, murmelte sie und machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Noch nie war es ihr so trös t lich erschienen, die heubestäubten Gänge zu betreten und Enhörnings Atem in ihrer Hand zu spüren. Wie so oft stritt sie mit Lars darüber, dass sie alleine ausreiten wol l te – und gewann zu ihrer Überraschung das Wortgefecht. Der Reitmeister schüttelte den Kopf und warf resigniert die Arme in die Luft.
»Gut, Fräulein Scheuermagd«, wetterte er. »Wenn du meinst, dass du alles gelernt hast, dann fliege!«
Und Elin flog. Auf Enhörnings Rücken verschwa m men die Bäume am Ufer zu einer verwaschenen Abfolge von Licht und Schatten und wirbelnden Sommerfarben. Der Wind kühlte ihr Gesicht. Zum ersten Mal ließ sie den Gedanken zu, dass sie ihre Mutter nie finden würde. Erst als sie Enhörning zum Stehen gebracht hatte, erkannte sie, wohin sie instinktiv geritten war: zu der Stelle, an der Henri sie festgehalten hatte.
David Beck, der Hofmaler, hatte so helle Wimpern und Brauen, dass Elin sie auf die Entfernung nicht erke n nen konnte. Wenn er malte, machte der Künstler einen spi t zen Mund wie eine alte Dame, die an einem heißen G e tränk nippte. Der Stoff seiner schwarzblauen Ärmel war geschlitzt, sodass bei jeder Bewegung, die er an der Sta f felei ausführte, die weißen Wäscheärmel hervorblit z ten. Und sie blitzten oft.
Gerade zog er einige Skizzenstriche und ließ seinen Blick immer wieder über Elins Züge wandern. Noch nie hatte jemand ihr Gesicht so lange und so unbarmherzig nach Schatten, Fältchen und Linien abgesucht.
»Sehen Sie etwas weiter nach rechts, Fräulein Elin. Ja, das ist besser, so kommt die Linie der Wange besser zur Geltung. Sie haben schöne Wangenknochen.«
Lovisa blickte von ihrer Stickerei auf und musterte den Maler wie ein Hofhund den Fuchs vor dem Hühne r stall. Elin verkniff sich nur mühsam ein Lächeln.
»Wenn wir mit dem Ölbild anfangen, können Sie sich entscheiden, was für ein Gewand Sie tragen wollen«, fuhr Beck fort. »Ihre Augen haben einen besonderen Farbton. Ein Grau, das grün oder blau schimmern kann – je nachdem, welche Stofffarbe den Augen schmeichelt.«
»Wechselhaft wie ihr Gemüt«, bemerkte Lovisa tr o cken.
»Grün!«, rief Elin. »Ich möchte, dass meine Augen grün sind.«
»Ein Hündchen wäre passend«, meldete sich Lovisa wieder zu Wort. »Das biblische Symbol der Treue.«
»Ein Jagdhund!«, schlug Elin vor. »Die Königin wird begeistert sein, wenn einer ihrer Jagdhunde auf dem Por t rät ist.«
»Ich dachte da eher an das weiße Schoßhündchen von Madame Chanut«, entgegnete die Kammerfrau. »Das passt auch auf die Miniaturen.« Sie nickte Herrn Beck zu und bat ihn fortzufahren. Den Rest der Sitzung fiel es Elin besonders schwer, ruhig zu sitzen. Kaum hatte Herr Beck seine Kohle zur Seite gelegt, sprang sie auf und folgte der Kammerfrau zu den Mädchenräumen.
»Lovisa!«, rief sie ihr hinterher. »Warte! Was für M i niaturen? Die Königin hat nur eine bestellt.«
»Eine für die Königin, eine für mich – und eine als
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