Der Spiegel der Königin
hast noch einen langen Weg vor dir, dir übe r haupt erst einen Ruf zu erarbeiten!« Lovisa seufzte und wischte sich über die Stirn. »Aber das ist nicht der eigentl i che Grund, weshalb ich hier bin. Ein Bote ist g e kommen – mit einem Päckchen aus Deutschland für dich.«
Elin fuhr hoch. »Wo?«
»Im Kabinett der Königin. Du sollst es holen.«
Kristina blickte nicht von ihren Akten auf, als Elin in ihr Kabinett stürmte, sondern deutete nur mit einer vagen Geste auf einen Tisch bei der Tür. Elin stürzte sogleich dorthin und riss den Lederbeutel an sich. Etwas klirrte darin. Eine Kette ? Vielleicht ein Erbstück?
»Vorsicht, Elin!«, hörte sie Ebbas Stimme neben sich. »Vielleicht ist etwas Zerbrechliches darin.« Erst jetzt bemerkte Elin die Freundin der Königin. Sie saß am Fe n ster und hatte ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien.
Behutsam tastete Elin nach dem Inhalt des Beutels und erschauerte, als ihre Fingerspitzen kaltes Metall und L e der b erührten. Überrascht zog sie den Gegenstand heraus. Es war ein Zaumzeug mit einem schmalen Mundstück. Ein Kärtchen mit einer Empfehlung hing daran. Elin brauchte eine halbe Ewigkeit, um zu begreifen, von wem die Sendung stammte und warum sie aus Deutschland kam und nicht aus Frankreich.
»Monsieur Henri wurde von seinem Vater an die Front geschickt«, sagte Kristina. »Der arme Kerl steht auf e i nem Schlachtfeld in Zusmarshausen bei Augsburg. Ich nehme an, der Zaum ist eine kleine Erinnerung daran, dass du dein Pferd besser zügeln sollst. Eins muss man dem jungen Marquis lassen – seinen Humor nimmt ihm so leicht niemand.« Sie lächelte müde und beugte sich wieder über die Akten. »Wie weit bist du mit der Katal o gisierung der philosophischen und sprachwissenschaftl i chen Studien für die Bibliothek?«
»Ich arbeite daran«, murmelte Elin. Tränen brannten in ihren Augen. Sie war plötzlich unglaublich wütend auf Henri. Wütend, dass er diese Hoffnung in ihr Herz g e setzt hatte. Und da war noch ein anderer Gedanke, der sie beunruhigte: Henri war auf einem Schlachtfeld. Selts a merweise erinnerte sich Elin nicht an den hochmütigen Adligen, sondern an den Jungen in der Bibliothek, der mit sehnsüchtigem Blick die Sterne betrachtet hatte.
»Warum zum Teufel heulst du ? «, fuhr Kristina sie an.
Ebba warf der Königin einen tadelnden Blick zu.
»Das wissen Sie genau!«, brachte Elin heraus.
»Ach richtig, du wartest ja immer noch auf den Brief, der dir bestätigt, dass deine Mutter eine Prinzessin war, die unstandesgemäß einen Soldaten geheiratet hat – hei m lich am Rand eines Schlachtfelds. Ach Elin, gib es endlich auf! Es ist bedeutungslos!«
»Für Sie schon!«
»Mein Gott, wir haben ganz andere Sorgen! Europa brennt! Es gibt Bürgerkriege und Aufstände. Meine A d ligen setzen mir zu und du denkst an nichts anderes als die Vergangenheit. Du musst sie endlich ruhen lassen und in die Zukunft blicken. Ich für meinen Teil wäre froh, nicht zu wissen, wer meine Mutter ist.«
»Wie können Sie so etwas nur sagen!«
»Ich weiß, wovon ich rede. Du hast zumindest die I l lusion, dass deine Mutter dich liebte. Ich hingegen habe meine Mutter an dem Tag verloren, an dem ich geboren wurde.« Kristina seufzte. »Alle dachten, ich sei ein Ju n ge. Mein Vater soll gesagt haben: › Sie wird klug werden, da sie uns so gut zu täuschen wusste. ‹ Nun, meine Mu t ter hat mir diese Täuschung nie verziehen.«
Elin hatte das Gefühl, dass dies nicht die ganze Wah r heit war.
Mit unbarmherziger Stimme fuhr Kristina fort: »Was würdest du tun, wenn du feststellen müsstest, dass deine Mutter dich ertränken wollte?«
»Das hätte sie nie getan«, gab Elin trotzig zurück. O h ne es zu wollen, hatte sie ihre Hände zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte sie Kristina geohrfeigt.
»Es reicht, Kristina.« Ebbas Stimme klang so sanft wie immer. »Du urteilst über fremdes Leid«, fuhr sie noch leiser fort. »Und dabei müsstest gerade du wissen, dass du Elin damit unrecht tust.«
Kristina warf Ebba einen langen Blick zu, dem diese mühelos standhielt. Elin bewunderte die junge Hofd a me für ihre Sanftmut und ihre Klarheit, die dennoch nicht darüber hinwegtäuschten, dass sich hinter dem hübschen Äußeren ein starker Wille verbarg. Kristina seufzte.
»Du hast Recht, Belle«, sagte sie nach einer Weile. »Entschuldige, Elin. Ich bin hart geworden. Aber selbst ich weiß, wie grausam es ist, jemandem die Hoffnung zu nehmen.«
Sie trat an Elin
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