Der Spiegel der Königin
Oxenstierna vergisst seit Tagen, mich verachtung s voll zu übersehen, und belauert stattdessen mit offenem Mund und Gier in den Augen jedes anko m m ende Schiff. Er sieht aus wie eine fette Katze, die hungrig auf das Mauseloch starrt. Vor ein paar Wochen ist der Botscha f ter Adler Salvius aus Münster zurückgekehrt. Die Kön i gin hat ihr Versprechen gehalten und ihn zur Belohnung für seine Dienste zum Reichsrat ernannt. Du kannst Dir sicher vorstellen, was für ein Skandal das war. Ich bin unendlich stolz auf sie – eine Frau, die den W i derstand des alten Adels bricht! Ganz allein durch ihr Geschick, ihre Klugheit und ihre Hartn ä ckigkeit hat sie ein ganzes Heer kriegssüchtiger Mä n ner zum Frieden gezwungen. Es gibt viel üble Nachr e de gegen Adler Sa l vius, aber die Königin betont, dass sie sich auch weiterhin nicht mehr nur an Personen adliger Geburt oder an eine lange A h nenreihe binden will. Die Generäle und Adligen, allen voran natürlich unser Kanzler, beschweren sich darüber, dass Schw e den um des Friedens willen zu viele Zugeständnisse gemacht habe. Die hohen Herren beklagen den Ve r lust von vielen Provinzen, die sie nun nicht mehr zu ihrer Kriegsbeute zählen können. Als hätten sie noch nicht genug! Überall bauen sich diese Kriegsgewin n ler ihre Paläste, vor allem auf der Ritterinsel. Die K ö nigin kümmert ihr Gejammer zum Glück wenig. Ger a de in diesen Tagen hat sie viel zu tun. Der Krieg hat den Staatsf i nanzen sehr geschadet und Kristina muss ihre ganze Klugheit aufbringen, neue Pläne zu m a chen, wie sich die Wirtschaft wieder aufrichten lässt. Immer noch zahlen die Bauern Kriegssteuern und auch um das Handwerk ist es nicht gut bestellt.
Ich habe mich den Winter über viel mit der Astron o mie beschäftigt, ich spreche Deutsch und Französisch, lese leidlich gut Latein und vertiefe mich immer weiter ins Studium der Medizin. Außerdem arbeite ich inzw i schen in der Bibliothek des Schlosses. Monsieur Te r vué kann mich nicht leiden und macht mir das Leben schwer, seit er erfahren hat, dass ich die philosoph i schen Schriften von Rene Descartes studiere. Er hält ihn für einen Athe i sten, der auf die Königin einen schlechten Einfluss ausübt. Tervué wirft sich an die Königin heran, als gelte es, ihre Hand zu gewinnen. Überhaupt benehmen sich einige der Wissenschaftler wie Jagdhunde, die sich mit Klauen und Zähnen um das fetteste Stück Beute reißen. Ich sage dir, die Intr i gen hier sind nicht weniger bösartig als Gretas Gez e ter in der Küche. Erinnerst Du Dich noch, Em i lia?
Seit dem Julfest habe ich mich zurückgezogen und kaum jemand anderen gesehen als ein paar schwang e re Ho f damen, die geifernden Gelehrten und unzählige Papierbögen. Die Tintenflecke an meinen Fingern la s sen mich aussehen, als wäre Gelehrtheit so etwas wie ein Fleckfieber. Immer noch tanze ich nicht, mir ist nach a l lem anderen als tanzen zumute. Kennst Du das, Emilia ? Diese Traurigkeit, wenn man feststellt, dass man etwas ve r loren hat, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, es je zu besitzen ? Ich habe endlich einges e hen, dass ich wohl nie erfahren werde, wer meine Mutter war. Kristina meint, es sei besser für mich, und nach dem, was Maria Eleonora ihr angetan hat, gla u be ich es bei Tage auch.
Bei Nacht sieht es dagegen ganz anders aus. Und noch etwas drückt mir auf die Seele: Mein bester Freund ist abgereist und wird bald ins Ausland gehen. Ich hatte dir ja schon geschrieben, dass er mir im Scherz ve r sprochen hat, um meine Hand anzuhalten. Nicht, dass ich das ernst nehmen würde, aber etwas macht mir dennoch Sorgen: Ich habe tatsächlich darüber nac h gedacht, ob ich mir ein Leben mit ihm vorstellen kön n te. Es ist seltsam – ich bin sicher, ihn zu lieben, und trotzdem widerstrebt mir die Vorstellung, mich ihm nackt zu zeigen oder mit ihm das Bett zu teilen. Vie l leicht ist etwas an mir widernatürlich ? Seit Lovisa von Hampus ’ leicht dahingesagten Worten erfahren hat, malt sie mir in den schrecklichsten Farben aus, wie ich als Frau eines armen Wanderarztes von Mark t platz zu Marktplatz ziehen werde, statt mit einem alten Kaufmann gemütlich in Stockholm zu residieren und meine Diener herumzuscheuchen. Mir ist elend z u mute und ich fühle mich, als hätte ich gleich zwei Freunde auf einmal verloren. Ob das Leben wirklich nur aus Verlusten besteht, Emilia? Es ist verrückt: Je mehr ich lerne, je mehr ich von der menschlichen Maschine, von der Welt und vom
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