Der Spiegel der Königin
Lauf der Sterne verstehe, desto u n durchschaubarer wird mein Leben und
»Was machst du hier?«
Elin schrak so sehr zusammen, dass ihr Federkiel e i nen Tintenklecks auf Emilias Brief hinterließ. Die Büc h se mit Streusand fiel um. Kristina lachte. »Vergiss nicht zu atmen«, bemerkte sie mit einem verschmitzten L ä cheln. »Meine Güte, d u bist vielleicht schreckhaft g e worden! Fehlt nur noch, dass du mir auf der nächsten Jagd beim ersten Schuss durchgehst wie ein Pferd.«
»Seit wann schleichen Sie sich von hinten an einen Briefschreiber heran ? «
»Seit es so viel zu entdecken gibt«, meinte Kristina spöttisch und deutete auf den Brief. »Lovisa gibt also immer noch nicht auf?«
»Sie führt sich schlimmer auf als damals der Kanzler bei Ihnen und Karl Gustav.«
Kristina lachte ihr etwas raues, herzliches Lachen, was Elin wie immer sofort wieder versöhnte. Dann schwenkte sie einen versiegelten Brief und strahlte Elin an.
»Monsieur Chanut sagte mir, dass er heute noch einen Brief an unseren Freund Descartes losschickt. Und ich möchte ihm dieses Schreiben hier mitgeben. Rate, was darin steht.«
Elin vergaß auf der Stelle ihren Kummer und sprang auf.
»Monsieur Descartes kommt zu Besuch auf Tre Kr o nor?«
»Zwingen kann ich ihn natürlich nicht«, sagte Krist i na. Ihr siegesgewisses Lächeln verriet jedoch etwas ganz anderes. »Jedenfalls möchte ich, dass du Monsieur Ch a nut diesen Brief überbringst. Und zwar jetzt gleich.«
»Was werden Ihre Gelehrten dazu sagen, die seine Schriften als Teufelszeug bezeichnen ? «
»Heulen und mit ihren Zähnen klappern werden sie«, meinte Kristina leichthin. Sie war schön geworden in diesem Winter und trug seit dem Friedensschluss den Kopf noch ein Stückchen höher. Aus ihren Bewegungen sprach nicht mehr so viel Fahrigkeit wie früher. Auf der Jagd hielt sie zehn Stun d en oder länger im Sattel aus und spottete über Elin, die schon nach wenigen Stunden das Gefühl hatte, nicht mehr richtig sitzen zu können.
»Ich bringe ihn sofort in die Botschaft!«, rief Elin. Ihre Finger kribbelten vor Aufregung, als sie den kostbaren Brief entgegennahm. Beschwingt lief sie die lange Tre p pe hinunter, überquerte den Hof und verließ das Schloss. Sie wusste, dass sie einen Gardisten als Begleitung hätte mitnehmen müssen, aber sie genoss es, alleine unterwegs zu sein. In ihrem grauen Kleid fiel sie kaum auf – und Monsieur Chanut würde sie nicht tadeln, wenn sie nicht im Festgewand erschien.
Obwohl es ein warmer März war, türmten sich in den Gassen immer noch die Schneehaufen. Elin sog den G e ruch nach brennendem Feuerholz tief in die Lungen und beschleunigte ihre Schritte. Die Französische Botschaft residierte in einem Stadthaus, dem »Scharenbergska H u set«. Niemand würde vermuten, dass der Keller zu einer kleinen Kapelle umgebaut war, in der Monsieur Chanut der lutherischen Empörung zum Trotz immer noch die katholischen Messen lesen ließ. Bei ihrem ersten Besuch im Haus des Botschafters hatte Elin vor allem eine M a donnenfigur bewundert. Solche Abbilder waren bei den Lutheranern verpönt, ebenso andere Zeichen katholischer Frömmigkeit wie zum Beispiel Rosenkränze. Wie immer war auch heute in Monsieur Chanuts gastfreundlichem Haus viel los. Herr Tervué saß im Salon und diskutierte mit dem Hauskaplan. Elin erkannte auch den französ i schen Tanzlehrer der Königin, der ein Glas Wein in der Hand hielt. Madame Chanut begrüßte Elin und deutete mit einem nachlässigen Winken zur Treppe.
»Gehen Sie nur nach oben, Mademoiselle. Mein Mann ist in seinem Arbeitszimmer.«
Elin drehte sich um und rannte ganz undamenhaft die Treppe hinauf.
»Monsieur Chanut!«, rief sie. Endlich kam die letzte Stufe. Elin fegte um die Ecke – und rannte gegen ein Hindernis. Schwappender Wein malte eine purpurrote Kaskade in die Luft. Instinktiv riss sie die Hand, die den Brief hielt, in die Höhe und sprang zur Seite. Mit einem staubigen Knall kam ein Buch auf dem Boden auf. Elin blickte auf eine Hand, von der roter Wein tropfte, und glaubte für einen Moment, wieder den Handschuh aus Blut zu sehen – wie damals auf der Lichtung, nachdem sie vom Pfeil getroffen worden war. Und auch diesmal war es Henris Hand!
Der Franzose sah sie an, als wäre sie ein Gespenst. Der Becher, den Elin ihm aus der Hand gestoßen hatte, rollte gegen die Wand. Henri erschien ihr älter – viel ä l ter. Aus dem hageren Jungen war ein Mann geworden, der sie um fast einen Kopf
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