Der Spiegel der Königin
gleich darauf betraten, war nie d rig und von Kerzenwärme erfüllt. Elin kniff die Augen zusammen und sah sich um. Tisch und Stühle waren an die Wand gerückt, um einer Kiste Platz zu machen. Nach und nach schälten sich im spärlichen Kerzenschein die Umrisse einer Gestalt aus dem Halbdunkel der Hütte. Eine Frau lag hier in einem Sarg, das Kinn trotzig vorg e reckt. Die Wangen waren eingefallen, die Haut gelb wie Wachs. Fassungslos starrte Elin Emilia an – einen fre m den Leichnam mit verblichenen Sommersprossen und strengen Gesichtszügen. Das Würgen kam so plötzlich, dass sie beide Hände vor den Mund schlagen musste. Der Beutel entglitt ihr. Mit einem Klirren zerbrach eine Fl a sche, Sandelholzaroma verbreitete sich im Raum. Das Zimmer schien sich zu drehen. Gesichter drängten sich an der Tür und starrten sie an – offene Münder, aufgeri s sene Augen, wie die verdammten Seelen auf einem G e mä l de, das die Hölle darstellte.
»Sie war krank«, sagte Frida leise. »Schon lange. O h ne Ihre Unterstützung wäre sie schon viel früher gesto r ben. Wir danken Ihnen sehr.«
»Sie ist … trotz der Medizin gestorben? Und die Ratschläge, die ich ihr geschickt habe?«
Frida knetete verlegen ihre Hände und senkte den Blick.
»Von Medizin weiß ich nichts. Und auch nicht von Ratschlägen. Ich weiß nur von dem Geld.«
»Die Briefe! Sie hat doch meine Briefe gelesen!«
Erst als sie das Raunen hörte, wurde ihr bewusst, dass sie die letzten Worte herausgeschrien hatte. Die Fratzen am Fenster starrten sie nun drohend an. Unregelmäßige, eilige Schritte erklangen, dann erschien Henris besorgtes G e sicht in der Tür. Frida räusperte sich und deutete zum Tisch.
»Vielleicht finden Sie dort, was Sie suchen.«
Elin ging zum Tisch hinüber und vermied es, die strenge Gestalt im Sarg anzuschauen. Die schäbige Ka s sette, die sie mit zitternden Händen öffnete, roch nach altem Pergament. Da waren ihre Briefe. Dutzende. Ve r siegelt und unberührt.
»Sie hat sie gehütet wie einen Schatz«, sagte Frida.
»Bitte, darf ich allein mit ihr sein?«, bat Elin heiser. Sie nahm kaum wahr, dass die Dorfbewohner sich lan g sam entfernten. Henri trat leise in die Stube und blieb neben der Tür stehen. Elin war ihm dankbar dafür, dass er nichts sagte.
Scheu trat sie an den Sarg heran. Es kostete sie mehr Überwindung als alles, was sie bisher in ihrem Leben getan hatte, die Hand auszustrecken und die kalte Haut zu berühren.
Es war ähnlich wie in ihrem Fiebertraum – nur viel e r schreckender. Als ihre Fingerspitzen über die Hände str i chen, fühlte Elin noch etwas. So behutsam, als würde Emilia ihre Bewegungen spüren, ließ sie ihre Fingerspi t zen über eine seltsam ausgebeulte Stelle unter dem Schlüsselbein wandern. Die Geschwulst, die sie unter dem Totenhemd ertastete, war so groß wie eine knochige Männerfaust. Elin biss die Zähne zusammen. Erst als Henri neben sie trat und ihr die Hand auf den Arm legte, bemerkte sie, dass sie auf Schwedisch fluchte. »Du ve r dammte Närrin«, zischte sie Emilia zu. »Du hast es g e wusst. Und du hast nichts getan! Du … Feigling!« Aber die eingefallenen Lider der Toten regten sich nicht.
»Mademoiselle«, versuchte Henri sie sanft zu beruh i gen.
»Lass mich in Ruhe!«, fuhr Elin ihn an.
Henri schluckte und zog die Hand zurück.
»Natürlich«, sagte er respektvoll und trat zur Tür, wo er stehen blieb und schwieg. Elin schniefte. Die Kerzen flackerten und ließen Emilia in einem Moment so auss e hen, als ob sie lächelte. Gleich darauf verliehen sie ihr einen unglücklichen Ausdruck. Elin stand verloren in der Kammer. Sie wollte nicht gehen – noch nicht. Einige la n ge Minuten ertrug sie es, dass die Briefe sie verhöhnten, dann drehte sie sich zum Ofen um und suchte nach dem Stapel mit dem Feuerholz. Es waren Handgriffe aus einer längst vergangenen Zeit, die sie immer noch beherrschte wie ein Schlafwandler seine Schritte. Sie schämte sich nicht, wieder Elin von den Königsgräbern zu sein, so n dern entfachte gewissenhaft das Feuer im Ofen und schürte die Glut. Seltsamerweise störte es sie nicht ei n mal, dass Henri sie bei diesem Magddienst beobachtete. Sobald das Feuer brannte, setzte sie sich davor und brach das Si e gel ihres ersten Briefes. Ihre Handschrift war noch unb e holfen und fahrig. Sie konnte kaum glauben, dass sie di e se Worte selbst geschrieben hatte:
Liebe Emilia,
Ich hoffe, Dein Herz s chmerzt nicht mehr.
Mir geht es
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