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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morrin Alex
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beiden. Wir haben genug Zeit vertan. – Vorwärts!« Er stieß sie vor sich her. Der Schneefall schloss sich wie ein undurchdringlicher Vorhang hinter ihnen und trennte sie von Jornas und den Firnwolfbestien. Cassims Beine bewegten sich nur widerwillig. Als sie stolperte, hielt er sie grob aufrecht und zwang sie weiter. Doch schon nach wenigen Schritten stolperte sie erneut. Diesmal ließ er sie mit einem verächtlichen Schnauben einfach in den Schnee fallen. Schwach mühte sie sich auf die Knie, sah zu ihm auf und begegnete seinem Blick. Einen Moment lang glaubte sie … Nein! Das Ungeheuer starrte sie aus den Tiefen der Gletscherseen an.
    Er musterte sie in kaltem Schweigen, dann trat er zu ihrem Erstaunen ein wenig zurück und wandte sich von ihr ab. Mit einem langsamen Atemzug schloss er die Augen und legte den Kopf in den Nacken. In Cassim erwachte der Gedanke an Flucht – sie verdrängte ihn. Erschöpft wie sie war, würde sie keine zwei Schritte weit kommen, ehe er sie wieder eingefangen hätte. Und selbst wenn: Er war der Eisprinz; sie konnte ihm nicht entkommen. Niemand konnte das.
    »Es hätte dich nicht mehr als ein Fingerschnippen gekostet.« Ihre Stimme klang so verloren, wie sie sich fühlte.
    Die schwarzen Brauen in einer Mischung aus Spott und Frage gehoben, drehte er sich zu ihr um. »Was hätte mich nicht mehr als ein Fingerschnippen gekostet?«

    »Sie zu töten. – Die Männer auf dem Schiff, als sie uns nicht gehen lassen wollten und sie dich geschlagen haben. Oder Prinz Kaylen, auf dem Platz … Du hättest sie einfach töten können, so wie du es mit den Bewohnern des Dorfes getan hast … Du hast den Frost doch geschickt, oder?« Sie forschte in seinem Gesicht, suchte hinter dem eisigen Hohn nach etwas anderem. »Warum hast du es nicht getan?«
    Sie schauderte bei dem bösen Lächeln, das über seinen Mund zuckte. »Weil du nichts merken durftest, Liebling. Denn etwas, das freiwillig getan wird, ist um vieles machtvoller als etwas, das unter Zwang entsteht. – Und wenn es dich tröstet: Wärst du in Jarlaith nicht so plötzlich aufgetaucht, wären Kaylen und seine Freunde auf diesem Platz gestorben.« Durch das leise Wispern der immer dichter fallenden Flocken war ein leises, helles Pochen wie aus weiter Ferne zu hören.
    »Aber warum dann die Leute aus dem Dorf?«
    »Weil sie einen Unschuldigen erschlagen haben, der nichts anderes wollte als sein Kind retten!« Als er diesmal einen Schritt auf sie zutat, wich Cassim vor ihm zurück. Die Kälte hatte sich von einem Atemzug zum anderen in brennenden Frost verwandelt. Der Schnee fegte in flüsternden Wirbeln über die Ebene. Über das Weiß stob eine Wolke aus tanzenden Flocken heran, ein regelmäßiger Dreitakt erklang, der lauter wurde. Ein mächtiger Umriss schimmerte in dem blitzenden Frost, verdichtete sich, nahm Gestalt an. Das Pochen erstarb, als ein prächtiges weißes Pferd aus dem Schneetreiben heraustrat. Ungläubig starrte Cassim das herrliche Tier an, dessen Fell glitzerte wie frisch gefallener Schnee. Unter eisblitzenden Hufen stob das Weiß auf, das den Boden bedeckte, während es auf sie zutänzelte. Ein schlanker, edler Kopf neigte sich wie zum Gruß. Der Wind spielte mit dem stolz gehobenen Schweif, der wie gefrorenes Silber und reifüberzogene Seidenfäden glänzte. Unter einer dichten Stirnlocke blitzten Augen in allen Schattierungen von Frost, Silber und Blau. Schreckgeschichten erzählten von
diesen Geschöpfen, von denen es hieß, sie seien aus Schnee und Sturm geboren. Man sagte, wo auch immer ihre Hufe den Boden berührten, würde das Eis nie wieder schmelzen; würde die Erde nie wieder auftauen und würde nie wieder etwas wachsen können.
    Der Frosthengst senkte die Nüstern in die Hand des Eisprinzen, als würde er dort nach einer Leckerei suchen, und schüttelte schnaubend seine lange silberweiße Mähne, die halb wirbelnde Eiskristalle, halb seidiges Mähnenhaar war, als er keine fand.
    Was auch immer die Legenden über dieses Wesen behaupten mochten, für Cassim war es einfach nur wunderschön. Doch dann wurde sie am Arm gepackt, rüde auf die Beine gezogen, und der Zauber des Tieres war vergangen. Der Griff verstärkte sich, wurde schmerzhaft. Der Rücken des Geschöpfes lag so hoch, dass sie nicht über ihn hinwegblicken konnte. Majestätisch bog der Frosthengst den eleganten Hals und wandte schnuppernd den Kopf, um sie anzusehen. In seinen Augen glomm es glitzernd. Sie starrte ihn noch immer staunend an.

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