Der Spiegel von Feuer und Eis
euer Ziel ist der Weiße Avaën. Was wollt ihr in Prinz Kaylens Stadt?«
»Du kennst Jarlaith?«
»Ich war noch nie dort, aber es dürfte kaum jemanden in den Nördlichen Gegenden geben, der noch nichts von Jarlaith und seinem Prinzen gehört hat. Was wollt ihr dort, Flammenkatze?«
»Jornas sagt, dass der Prinz im Besitz der beiden letzten fehlenden Spiegelsplitter ist.«
»Kaylen ist …« Morgwen pfiff durch die Zähne. »Und wie gedenkt ihr an die Scherben zu kommen? Ich bezweifele, dass er sie euch freiwillig überlässt.«
»Das soll deine Sorge nicht sein.« Jornas wischte sich die Hände sauber und griff nach dem Becher mit dem inzwischen geschmolzenen Schnee. »Wenn es so weit ist, wirst du es schon erfahren.«
Die beiden Männer musterten einander. Es war Morgwen, der schließlich auf seine nachlässige Art die Schultern hob und aufstand.
»Nach Jarlaith sind es vermutlich sechs oder sieben Tage zu Fuß. Und es liegt beinah in der entgegengesetzten Richtung zum Weißen Avaën. – So wie der Himmel aussieht, wird es bald schneien. Wir sollten aufbrechen.« Die Bewegung, mit der er Schnee über das Feuer treten wollte, gefror, als Jornas zwei unverständliche Worte sprach. Gefährlich langsam hob er den Blick, starrte den Faun an. Einen Herzschlag. Zwei. In seinen Augen war ein Glitzern, das Cassim Angst machte.
»Was …«, setzte sie an, doch Jornas gebot ihr mit einer Geste zu schweigen, sagte wieder etwas in jener seltsamen Sprache. Morgwen blinzelte, den Bruchteil eines Lidschlags zuckte es um seinen Mund. Erschrocken sah sie zuerst ihn, dann Jornas an, der sich gerade mit einem selbstgefälligen Lächeln aufrichtete.
»Was ist mit ihm? Was habt Ihr getan?«
»Keine Sorge, Cassim. Gleich geht es ihm wieder gut. – Ihr wolltet, dass er uns begleitet. Nun, ich habe dafür gesorgt, dass Euer Wunsch sich erfüllt. Er steht unter meinem Bann.«
»Was habt Ihr mit ihm gemacht?« Sie blickte zu Morgwen, dessen Augen noch immer unverwandt auf dem Faun ruhten.
»Ich habe ihn mit einem Zauber belegt, der ihn vollständig meinem Willen unterwirft.«
Vor Entsetzen schnappte Cassim nach Luft. »Das könnt Ihr nicht tun! Er wollte uns freiwillig begleiten … Macht es rückgängig!«
»Ich werde nicht riskieren, dass er uns bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verrät!« Unwillig blickte Jornas sie an.
»Er wird uns nicht verraten! – Macht diesen Bann rückgängig.«
»Das werde ich nicht tun!«
»Aber Jornas …«
»Versteht doch, Cassim …«
»Nein! Ich werde nicht zulassen, dass Ihr ihm seinen freien Willen nehmt. – Macht es rückgängig! Ansonsten trennen sich unsere Wege hier und jetzt, und Ihr könnt dem Lord des Feuers erklären, dass ich nicht tun werde, worum er mich bittet.«
Ärger huschte über die Züge des Fauns, doch dann murmelte er abermals etwas in jener fremden Sprache. Der Blick, mit dem er sie bedachte, war kalt.
»Ich habe den Bann nicht von ihm genommen, Cassim. – Nein, wartet, lasst mich erklären. – Er ist nicht mehr meinem Willen unterworfen. Allerdings habe ich dafür gesorgt, dass er uns – seinem Empfinden nach aus eigenem Entschluss – dorthin führen wird, wohin ich es wünsche. Und sollte er versuchen, uns zu verraten, wird ihm das unmöglich sein.«
»Das ist nicht das, was ich von Euch verlangt habe.« Störrisch schüttelte Cassim den Kopf. Morgwen rührte sich noch immer nicht.
»Aber es ist alles, was ich tun werde. – Versucht, mich zu verstehen. Euer Vorhaben ist zu wichtig, um es durch möglicherweise voreilig geschenktes Vertrauen zu gefährden. -Für ihn wird alles wie immer sein. Er wird nichts von dem Zauber merken.«
Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Und Ihr nehmt den Bann endgültig von ihm, sobald wir den Weißen Avaën erreicht haben?«
»Sobald wir seine Dienste nicht mehr benötigen, ist er frei. Mein Wort darauf.«
Langsam stieß Cassim die Luft aus, nickte schließlich. Auch Morgwen schien aus seiner Benommenheit zu erwachen. Er
blinzelte, sein Blick streifte Cassim, ging zu Jornas, dann trat er Schnee über das Feuer, das zischend erlosch, ignorierte den empörten Ausruf des Fauns, als er von einem guten Teil der weißen Kälte getroffen wurde, und half Cassim vom Boden auf.
»Wie geht es dem Knie?«
»Besser.« Mit einem unsicheren Lächeln nickte sie. »Danke.« Er schien tatsächlich nichts von dem Bann zu spüren und auch ihren Streit mit Jornas hatte er offenbar nicht mitbekommen. Als
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