Der Spiegel von Feuer und Eis
zusammengerollt und beobachtete ihn schläfrig. Ihr Knie pochte dumpf vor Schmerz. Selbst bei der kleinsten Bewegung musste sie die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu stöhnen. Schließlich spießte er die Hasen auf zwei dünne Stecken, die er mitgebracht hatte, und rammte sie in den Rand der Grube, sodass die Tiere weit genug von den Flammen entfernt waren, um nicht zu verkohlen, und doch nah genug, um zu braten. Er wischte sich die Hände im Schnee sauber, dann langte er in seine Gürteltasche und förderte ein paar graugelbe, längliche Blätter
zutage, die er sich in den Mund schob. Was auch immer es war, Cassim kam zu dem Schluss, dass es nicht besonders gut schmecken konnte. Eine ganze Weile kaute er darauf herum, ehe er aufstand und zu ihr herüberkam. Ohne zu fragen, zog er den Umhang über ihrem verletzten Bein auseinander, schnürte wie schon zuvor den Stiefel auf und schob das Hosenbein vorsichtig bis über das verletzte Gelenk. Wie er vorhergesagt hatte, war es noch stärker angeschwollen.
Ein ungutes Gefühl beschlich Cassim, als er das, worauf er herumkaute, in seine Hände spuckte. Hastig raffte sie den Mantel fester um sich. »Es tut kaum noch weh …«, setzte sie an und versuchte, ein Stück von ihm wegzukriechen. Das Dornengestrüpp in ihrem Rücken und der Schmerz, der dabei durch ihr Knie schoss, verhinderten es. Sie starrte auf die Masse in seinen Händen. Graugelb, schmierig … »Ekel-iiiih!« Das Wort endete in einem Quietschen, als er den Brei erbarmungslos auf ihrem Knie verteilte. Er war eiskalt und brannte wie tausend Nadeln. Eine Packung aus Schnee vervollständigte die Behandlung, dann wickelte er den Mantel wieder sorgsam um sie herum. Als ihre Blicke sich kreuzten, hätte Cassim schwören mögen, boshaftes Vergnügen in den Tiefen seiner Frostaugen blitzen zu sehen. Doch dann senkten sich seine Lider, und als er wieder aufsah, schaute sie wie zuvor in helle Aquamarine, in die das Feuer Schatten zauberte.
»Bis morgen früh sollte die Schwellung zumindest ein wenig zurückgegangen sein. Und vielleicht tut es dann nicht mehr bei jeder Bewegung weh. Aber laufen wirst du die nächsten drei, vier Tage nicht können.«
»Danke«, war alles, was sie als Antwort herausbrachte.
Er nahm es mit einem Nicken hin und kehrte zu seinem Platz bei den Hasen zurück, die inzwischen über den Flammen dampften. Der Geruch, der zu Cassim herüberwehte, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie konnte kaum an sich halten, als er die Tiere schließlich vom Feuer holte und
ihr die ersten Stücke reichte. Hungrig schlug sie die Zähne in das Fleisch, verbrannte sich Zunge und Lippen daran und sog hastig die kalte Nachtluft ein.
»Wie lange warst du im Kerker?« Morgwen musterte sie mit schief gelegtem Kopf, während er auch Jornas ein Stück Hase gab.
»Ich weiß es nicht. Eine Nacht, glaube ich.« Ihr war klar, dass es äußerst unhöflich war, zu sprechen und gleichzeitig zu kauen, doch nach dem ersten Bissen war eine Gier in ihr erwacht, die sie jeden Sinn für Anstand vergessen ließ.
»Glaubst du …« Er nickte leicht. »Drei Tage sind eine verdammt lange Zeit da unten.«
Eben hatte Cassim erneut von dem Hasen abbeißen wollen, doch nun stockte sie und sah ihn verwirrt an.
»Drei Tage? Wieso …«
»Im Palast der Eiskönigin vergeht die Zeit für Sterbliche anders. Was dir wie eine Nacht vorkam, waren in Wahrheit drei oder vier Tage.«
Cassim schluckte trocken. »Woher weißt du das?«
»Was glaubst du, was auf Wilderei steht?«
Das nächste Stück Hase blieb ihr im Hals stecken. »Du meinst, du …«
»Nein! – Aber ich habe von jemandem gehört, der erwischt wurde. Zehn Jahre soll er dort unten gesessen haben. Als Sie ihn endlich wieder freiließ, war er nur um zehn Jahre gealtert, aber in der Welt waren dreißig vergangen. Seine Familie und Freunde … viele von ihnen waren tot. Seine Frau hatte wieder geheiratet, weil sie dachte, er wäre gestorben.« Er hob die Schultern, riss seinerseits ein Stück Fleisch ab und schob es sich in den Mund.
Betreten blickte Cassim auf das dampfende Mahl. Dreißig Jahre? Feuer und Erde. Sie sah wieder zu Morgwen, der ungerührt weiteraß, als sei es etwas ganz Normales, dass ihm eine solche Gefahr im Nacken saß.
Schweigend verzehrte sie die Reste ihres Hasenanteils und kauerte sich dann müde in den warmen Mantel. Doch sie konnte einfach keinen Schlaf finden: Sie lag hier in seinem weich gefütterten Umhang neben dem Feuer. – Und was war
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