Der Spiegel von Feuer und Eis
Waffe einzusetzen. Hinter ihm drückte sich der Junge in der Tür herum. Ein Hund war ganz in der Nähe angebunden und stemmte sich belfernd gegen das Seil. Sein Fell war ebenso zottelig wie das der Schafe. Eis glitzerte in ihm.
»Was wollt ihr, Fremde.« Der Mann hob die Mistgabel ein Stückchen höher, hielt sie unmissverständlich auf Abstand.
»Ich grüße Euch, Freund. Wir sind Reisende und suchen ein Lager für die Nacht.« Jornas verbeugte sich elegant.
»Ein Lager für die Nacht?« Zweifelnd blickte der Mann erst den Faun, dann Cassim an.
»Ja, mein Freund. Mein Mündel …«
Sein … Mündel? Cassim blinzelte überrascht.
»… und ich schlafen schon seit Tagen unter freiem Himmel. Wenn Ihr einen Platz für uns habt, wo wir die heutige Nacht unter einem Dach in der Nähe eines Feuers verbringen können, soll es Euer Schaden nicht sein.« Er zog eine glänzende Münze aus seinem Beutel.
Die Augen des Mannes wurden groß. Zögernd sah er noch einmal von einem zum anderen, ehe er langsam die Mistgabel sinken ließ. »Ich kann Euch nicht mehr als ein paar Decken und Felle auf dem Boden in der Stube und Brot aus Zernamehl und Eintopf anbieten. Wenn Euch das genügt, seid Ihr willkommen.«
»Ich versichere Euch, mein Freund, das genügt uns. Wir danken Euch.« Erneut verneigte Jornas sich, blickte kurz zu Cassim hin. »Ein … ein Freund von uns wird wohl heute Nacht noch zu uns stoßen. Ich hoffe, Ihr habt auch noch ein wenig Platz für ihn?«
Die Augen des Mannes wurden schmal. Seine Hände schlossen sich wieder fester um die Mistgabel. »Wo treibt Euer Freund sich denn gerade herum?«
»Er sucht im Wald nach einem verletzten Tier.« Cassim trat langsam vor.
»Im Wald? – Nun, dann solltet Ihr hoffen, dass er dem verdammten Wolf nicht in die Fänge gerät.«
»Ein Wolf?« Erschrocken sah sie zu Jornas hin.
»Ja. Die Bestie hat uns im letzten Viertelmond zwei gute Schafe gerissen. Wir haben Fallen aufgestellt …«
»Die Fallen sind von Euch?«
»Natürlich, Mädchen. Sie haben das Dorf ein Vermögen gekostet. Aber in einer von ihnen wird sich das Vieh schon fangen. Sein Balg wird eine ganze Stange Geld bringen. Im Süden soll jemand hübsche Sümmchen für Wolfsfelle zahlen.«
»Nun, in eine Eurer Fallen wäre ich um ein Haar geraten.«
»Das tut mir leid, Mädchen. – Aber jetzt kommt ins Haus. – Du kannst mir drinnen erzählen, in welche der drei du beinah getreten bist, damit ich sie gleich morgen wieder aufstellen kann.« Er ließ die Mistgabel endgültig sinken, drehte sich um und stapfte auf das erste der Häuser zu. Eine Handbewegung trieb den Jungen durch die Tür.
Drei? Cassim stand wie betäubt und starrte dem Mann und Jornas nach. Drei? Erde und Feuer, und Morgwen hat keine Ahnung davon.
Sie bemühte sich, möglichst leise zu sein. Schon vor einiger Zeit hatte sie ihn gewittert. Sie hechelte schneller vor Angst. Der Geruch wurde stärker. Er musste direkt vor der Höhle sein. Beinah lautlos schob er sich durch den schmalen Eingang. Sie winselte. Einer der großen Weißen. Ein Biss würde genügen, um sie zu töten. Langsam kam er näher. Ein Rüde. So viel größer, als es der Leitwolf ihres alten Rudels gewesen war. Ein schwarzer Aalstrich begann zwischen seinen Augen und verlief über seinen Rücken bis zur Spitze seiner buschigen Rute. Er betrachtete sie reglos, kam noch weiter heran. Mühsam versuchte sie, sich aufzurichten. Wenn es sein musste, würde sie kämpfen. Aber sie war so müde. Seit Tagen hatte sie nicht mehr gefressen. Schmerz brannte in dem Vorderlauf, den das grausame Eisending ihr zerschlagen hatte. Sie fiel auf die gefrorene Erde zurück. Sein Knurren erfüllte die Höhle. Plötzlich waren die Wände mit Eis überzogen. Die Kälte drang selbst durch ihr Fell. Womit sie seinen Zorn erregt hatte, wusste sie nicht. Sie erstarrte, als er sie mit der Schnauze anstieß, winselte wieder, leckte ihm beschwichtigend die Lefzen. Sein Atem traf sie, dann fuhr seine Zunge über ihren Kopf, wieder und wieder. Die Kälte verschwand. Wärme breitete sich auch in der Höhle aus. Er wandte sich ihrem Vorderlauf zu. Sie hatte ihn sich selbst abgebissen, um hierher zurückkehren zu können. Er leckte ihre Wunde, langsam und konzentriert. Die Qual ließ nach. Erschöpft streckte sie sich auf dem Boden aus. Er machte weiter, säuberte mit seiner Zunge, was von ihrem Bein übrig geblieben war. Bis er das leise Wimmern hinter ihr hörte. Seine
Ohren zuckten vorwärts. Er hob den
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