Der Spiegel von Feuer und Eis
Prinz Kaylens Opfern zurückkehren.
Nesha war ihnen und der Fremden die Hälfte der Stufen hinuntergefolgt. »Ich bringe euch gleich heißes Wasser und Wundbalsam. Es ist noch Brocan vom Abendessen übrig. Ich werde es rasch aufwärmen, und dann sehe ich, ob ich noch ein paar Decken auftreiben kann.« Damit verschwand sie und die Luke schloss sich. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, sank Cassim auf den Schemel, der ihr am nächsten war. Die Frau lächelte sie verstehend an und schob Morgwen wortlos den zweiten hin. Dann trat sie an die Feuerstelle, hielt einen Kienspan in die mit einem Mal hoch aufzüngelnden Flammen und entzündete mit ihm das Öl in einer kostbar gehämmerten Goldschale, die auf einem schmalen Vorsprung stand. Einen Moment beobachtete sie, wie das kleine Ölfeuer aufloderte, dann fuhr sie mit der Hand einige Male durch die Flammen, ehe sie mit einem leisen Murmeln ihre Fingerspitzen küsste und ehrerbietig den Kopf neigte. In ihren eigentümlich dunklen Augen schien sich das Feuer noch immer zu spiegeln, als sie sich ihnen wieder zuwandte.
»Nesha wird gleich etwas zu essen für euch bringen. Ihr und ihrem Mann Ernan gehört dieses Haus. Hier seid ihr sicher, bis
wir euch aus Jarlaith hinausbringen können.« Sie zupfte die sanft glimmende Peitschenschnur aus ihrem Haar und löste sie von ihrem Arm, als sei es etwas ganz Natürliches, dass ein solches Folterinstrument sich wie ein vernunftbegabtes Tier benahm, rollte sie zusammen und legte sie auf die Truhe. »Ich bin Gerdan.«
Cassim starrte wie gebannt auf die Peitsche, vor allem, da diese sich tatsächlich von selbst ein wenig weiter zusammenzuringeln schien. Erst als sie hörte, wie Morgwen ihrer Retterin zuerst seinen, dann ihren Namen nannte, riss sie den Blick von ihr los. Eben schob Gerdan ihr einen irdenen Becher zu, in dem eine goldene Flüssigkeit dampfte.
»Arnentee. Er wird dir helfen, wieder warm zu werden.« Sie wandte sich Morgwen zu. »Zieh dein Hemd aus, damit ich mir deine Wunden ansehen kann. Für einen wie dich muss es umso schlimmer sein, mit einer Feuerpeitsche traktiert zu werden.« Die Hand schon halb nach ihm ausgestreckt, um ihm zu helfen, hielt sie inne. »Es sei denn, du würdest es vorziehen, wenn deine Gefährtin sich deiner annimmt und ich dir nicht zu nahe komme.«
Verwirrt runzelte Cassim die Stirn. Die Frau sprach, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. »Warum sollte er nicht wollen, dass Ihr ihm zu nahe kommt?«
Für einen Atemzug war so etwas wie Verwirrung auf Gerdans Zügen, ehe ein Lächeln sie vertrieb. »Verzeih mir. Natürlich. Er kann es spüren, aber woher solltest du es wissen. – Ich bin eine Priesterin des Herrn der Flammen und zudem mit der Gabe des Feuers gesegnet. – Oder verflucht, ganz wie man das in einer Zeit sehen möchte, in der die Eiskönigin über das Land herrscht. – Wenn jemand wie er«, sie nickte zu Morgwen hin, »zur Hälfte das kalte Blut einer Eisdryade in den Adern hat, kann meine Berührung für ihn unangenehm, im schlimmsten Falle sogar äußerst schmerzhaft sein.« Eine feine Linie erschien auf ihrer Stirn. »Vielleicht hätte ich Nesha bitten sollen, Ernan
nach kaltem Wasser zu schicken, um deine Wunden auszuwaschen.« Sie wollte zur Treppe gehen, doch Morgwen hielt sie fest. Mit geweiteten Augen starrte sie auf seine Hand. Sofort ließ er sie los.
»Ich werde das heiße Wasser ebenso ertragen wie deine Berührungen.« Er warf Cassim einen halb belustigten, halb besorgten Blick zu. »Zudem sieht meine Gefährtin aus, als würde sie gleich über ihrem Arnentee einschlafen, und daran möchte ich sie nicht hindern.«
Cassim verzog das Gesicht. Doch schon im nächsten Moment versuchte sie krampfhaft, ihr Gähnen zu verbergen. Dem Grinsen Morgwens und dem Blick Gerdans nach zu urteilen, gelang es ihr nicht. Ein Rumoren an der Luke ließ alle drei aufblicken. Einen Moment später schwang sie auf, und Nesha kam die Stufen herunter, ein Speisebrett in den Händen, auf dem sie Geschirr, eine Waschschüssel und einen Topf balancierte, aus dem ein köstlicher Duft drang. Hinter ihr folgte Ernan mit einem kleinen Kessel, von dem Dampfschwaden aufstiegen. Über dem Arm trug er einen Stapel sauberer Leinentücher, die er auf der Truhe ablegte, vorsichtig darauf bedacht, der zusammengerollten Peitsche nicht zu nahe zu kommen. Den Kessel stellte er neben dem Feuer ab, dann verschwand er noch einmal die Stufen hinauf, um mit einem Bündel Decken zurückzukehren. Bedauernd
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