Der Spiegel von Feuer und Eis
ihm umdrehte. Was auch immer der Prinz in ihren blau brennenden Tiefen sah, ließ die Worte in seiner Kehle gefrieren. Mit einem Schlag war alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. Selbst der eisige Wind schien den Atem anzuhalten.
In der plötzlichen Stille klang das traurige »Lass sie gehen, Kaylen. Bitte!« umso lauter.
Jarlaiths Prinz fuhr herum, als sei er geschlagen worden. Seine Atemzüge waren nur ein pfeifendes Keuchen. Er blinzelte
ein paar Mal, blickte kurz zu Morgwen, der jetzt seltsam zusammengesunken in der Kälte kniete. Dann sah er zu der Frau, die eben langsam zwischen seinen Kumpanen hindurchschritt. Murrend machten sie ihr Platz. Ihr dunkelbraunes, beinah schwarzes Haar fiel lang ihren Rücken hinunter und bewegte sich leicht in der Brise, die spielerisch an ihm zupfte. Das Licht der Fackeln ließ feurige Strähnen darin lodern und spiegelte sich in einem trüben roten Edelstein, den sie um den Hals trug. Ein schlichtes dunkles Gewand schmiegte sich um ihre Beine, während sie an Prinz Kaylen vorbeiging und sich zwischen ihn und Morgwen stellte. »Beende es hier, Kaylen. Lass sie gehen«, bat sie noch einmal.
Der Blick des Prinzen wurde schmal, glitt über ihre schlanke Gestalt, dann verzog sein Mund sich höhnisch. »Sieh an, die Ketzerhexe, die Herrscherin über Jarlaith sein wollte. Was auch immer dich aus deinem Loch getrieben hat: Du hast Glück, im Moment bin ich nicht an dir interessiert! Verschwinde! Du störst meine Jagd!«
Ohne sich zu rühren, stand sie weiter da. Sacht tanzten die Schneeflocken um sie herum.
»Bist du taub? Verschwinde, ehe ich es mir anders überlege und dich doch noch festnehmen lasse!« Die Peitsche zuckte nach ihr. Cassim sog scharf die Luft ein, als die Unbekannte die Hand nach der glimmenden Schnur ausstreckte – und diese sich in ihren Griff schmiegte. Eine lohende Schlange, die in die Liebkosung ihrer Herrin kriecht. Fluchend versuchte der Prinz, die Peitsche zurückzureißen, und ließ sie mit einem Schmerzenslaut fahren.
»Beende es, Kaylen! Ich bitte dich!« Die Peitschenschnur wand sich höher den Arm der Frau hinauf, um ihre Schulter, legte sich sanft um ihren Hals und verschwand dann in ihrem Haar. Der verzierte Griff baumelte in träger Zufriedenheit von ihrem Handgelenk.
»Packt sie! Tötet sie!« Mit einem wütenden Schrei hieb Prinz
Kaylen seinem Jern die Sporen in die Flanken, trieb es auf die Frau zu. Morgwens Kopf zuckte hoch. Das Tier blökte und brach zur Seite hin aus.
Heulend erwachten Wind und Schnee zum Leben. Die Frau drehte sich zu ihnen um. »Lauft!« Sie packte Morgwen am Arm, zerrte ihn vom Boden und hinter sich her. Cassim folgte ihnen. Die Männer des Prinzen wichen voller Entsetzen vor ihnen zurück. Die wenigen, die es wagten, nach ihnen zu greifen, jaulten vor Schmerz auf und ließen augenblicklich von ihnen ab. Eine schmale Gasse öffnete sich vor ihnen, machte schon nach wenigen Schritten einen scharfen Knick, gleich darauf eine Kreuzung. Hinter ihnen brüllte Prinz Kaylen mit vor Wut schier überkippender Stimme Befehle. Sie rannten weiter. Die Fremde hatte Morgwen inzwischen losgelassen, der Cassim erneut an die Hand genommen hatte und immer wieder verhinderte, dass sie auf dem Eis ausglitt.
Das Klacken der Jernhufe und die Stimmen ihrer Verfolger klangen schon nach erstaunlich kurzer Zeit nur noch gedämpft bis zu ihnen her. Cassim hatte sehr schnell wieder die Orientierung verloren. Doch wer auch immer die Unbekannte war, das Labyrinth der dunklen Gassen war ihr vertraut – und sie nutzte dieses Wissen. Sie führte sie durch Höfe, unter Eisbögen hindurch und bedeutete ihnen, sich in schmale Spalten zu zwängen. Ein paar Mal ging es durch einige der erfrorenen Häuser hindurch. Sanft rieselte Schnee von der Gletscherdecke, legte sich in einer dünnen Schicht auf den Boden. Eisige Böen spielten darüber hinweg und verwischten die Spuren, die sie darin hinterlassen haben mochten.
Irgendwann verlangsamte die Fremde endlich ihren Schritt und erlaubte ihnen, einen Moment zu verschnaufen. Um sie her herrschte nichts als Stille. Sie hatten Prinz Kaylen und seine Kumpane endgültig hinter sich gelassen. Doch kaum waren sie wieder ein wenig zu Atem gekommen, winkte die Frau sie schweigend weiter durch die Gassen, bis sich schließlich Feuerschein
auf dem Eis der Häuser spiegelte. Eine letzte Biegung, und ein enger Durchgang öffnete sich vor ihnen, von schmalen Lichtfingern erhellt, die durch Fensterläden fielen.
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