Der Spieler (German Edition)
hinunterzuschlucken.
Auch an die Pflanzzeit erinnerte er sich noch gut. Zusammen mit seinem Vater hatte er in der Wüstenhitze auf dem Boden gekauert, um sie herum nichts als gelber Staub. Sie hatten Samen eingegraben, die sie aufbewahrt hatten, anstatt sie Gita zu geben, damit sie fett wurde und man sie verheiraten konnte, und sein Vater hatte mit einem Lächeln gesagt: »Diese Samen werden Hunderte neuer Samen hervorbringen, und dann haben wir alle reichlich zu essen.«
»Wie viele Samen denn?«, hatte Lalji gefragt.
Und sein Vater hatte gelacht und die Arme ausgebreitet. Wie riesig er mit seinen großen weißen Zähnen, den rotgoldenen Ohrringen und den Fältchen um die Augen ausgesehen hatte! »Hunderte!«, hatte er gerufen. »Tausende, wenn du betest!« Und Lalji hatte gebetet, zu Ganesha und Lakshmi, zu Krishna und Sati, zu Rama und Vishnu – zu jedem einzelnen Gott, der ihm einfiel, wie alle anderen Dorfbewohner auch. Er hatte gebetet, wenn er Wasser aus dem Brunnen über die winzigen Samen goss und wenn er nachts aufpasste, dass die wertvollen Sprösslinge nicht ausgegraben und auf das Feld eines anderen Bauern gebracht wurden.
Jede Nacht hatte er dort über den Samenreihen gewacht, während sich die eisigen Sterne über ihm drehten, hatte gewartet und sie gegossen, hatte gebetet und gewartet, bis sein Vater schließlich den Kopf schüttelte und sagte, es habe keinen Sinn. Trotzdem hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, bis er eines Tages dann auf das Feld hinausgegangen war und die Samen einen nach dem anderen ausgegraben hatte. Sie waren alle verfault gewesen und hatten wie winzige Kadaver in seiner Hand gelegen, so tot wie an dem Tag, als er und sein Vater sie eingepflanzt hatten.
Er hatte in der Dunkelheit gekauert und die kalten, leblosen Samen gegessen, obwohl er wusste, dass er sie hätte teilen müssen, doch er war unfähig, seinen Hunger zu beherrschen und sie nach Hause zu tragen. Er schlang sie ganz alleine hinunter, halb verfault und voller Erde, wie sie waren: Es war das erste Mal, dass er echtes PurCal aß.
Kaum dass es hell geworden war, badete Lalji im heiligsten aller Flüsse seiner Wahlheimat. Er tauchte in den verschlammten Mississippi und reinigte sich im Angesicht der Götter von der Last des Schlafes. Dann zog er sich, vom Wasser ganz glitschig, an Bord zurück. Seine Unterhose hing tropfnass an seinem faltigen Hintern, seine braune Haut glänzte. Während er sich mit einem Handtuch trockenrieb, blickte er über das Wasser zur aufgehenden Sonne hinüber. Die gekräuselte Oberfläche des Flusses war in goldenes Licht getaucht.
Nachdem er frische Kleider angezogen hatte, ging er zu seinem Schrein hinüber. Er zündete Räucherstäbchen an und legte U-Tex und SoyPRO vor die kleinen geschnitzten Bildnisse – vor Krishna mit seiner Flöte, vor die gütige Lakshmi und den elefantenköpfigen Ganesha. Dann kniete er nieder, legte das Gesicht auf die Planken und betete.
Sie hatten sich von der Strömung des Flusses nach Süden treiben lassen, einen angenehmen Herbsttag nach dem anderen. Die Blätter veränderten ihre Farbe, und allmählich wurde es kühler. Der Himmel hatte sich von seiner heitersten Seite gezeigt, und sein Spiegelbild hatte den schlammigen Mississippi mit einem bläulichen Schimmer überzogen. Dieser funkelnden Wasserstraße waren sie nach Süden gefolgt, dieser Hauptverkehrsader, in die zahllose Bäche und Nebenflüsse mündeten, während sich lange Reihen von Frachtkähnen zu ihnen gesellten, welche die Strömung für sich arbeiten ließen und wie sie die ganze Mühe der Schwerkraft überließen.
Lalji war dankbar, dass ihre Reise den Fluss hinunter so reibungslos verlief. Die erste Schleuse hatten sie bereits hinter sich gelassen, und nachdem sie gesehen hatten, wie die Suchhunde Bowmans Versteck unter den Planken ignoriert hatten, begann Lalji zu hoffen, dass alles so glattgehen würde, wie Shriram behauptet hatte. Trotzdem betete er jeden Tag länger und mit größerer Inbrunst, während die Kontrolleure in ihren Booten an ihnen vorbeirasten, und legte immer mehr SoyPRO vor Ganeshas Bildnis, in der verzweifelten Hoffnung, der »Entferner der Hindernisse« würde eben dies weiter für sie tun.
Als er seine Morgenandacht beendet hatte, regten sich auch seine Mitreisenden. Creo kam herunter und machte sich in der kleinen Kombüse zu schaffen. Bowman folgte ihm und beschwerte sich über das SoyPRO, aber Creo lehnte das Obst und Gemüse, das Bowman ihnen anbot,
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