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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Pacigalupi
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aus Menschen umgeben. Sie furzen und ächzen und wälzen sich herum. Fleisch reibt sich an Fleisch, Knochen reiben sich an Knochen, die Lebenden wie auch die in der Hitze erstickten Toten, alle miteinander.
    Ein Mann hustet. Feuchter Atem und Speichel wehen Tranh ins Gesicht. Sein Rückgrat und sein Bauch kleben an dem nackten, schwitzenden Fleisch der Fremden vor, hinter und neben ihm. Er fängt an zu zittern, reißt sich aber zusammen. Zwingt sich, völlig still dazuliegen, langsam Luft zu holen, trotz der Hitze. Zwingt sich, die lastende Finsternis in sich aufzunehmen, ganz von der Paranoia eines Menschen erfüllt, der knapp überlebt hat. Er ist wach, während andere schlafen. Er ist am Leben, während andere längst tot sind. Er zwingt sich, still dazuliegen und zu lauschen.
    Fahrradklingeln läuten. Weit unter ihm, weit weg erwachen Zehntausende von Menschen. Er kämpft sich aus dem Knäuel von Körpern heraus, wobei er den Hanfsack mit seinem Hab und Gut hinter sich herschleift. Er ist spät dran. Ausgerechnet heute muss er sich verspäten! Er wirft sich den Beutel über die knochigen Schultern und tastet sich die Treppe hinunter, sucht zwischen den Bergen schlafenden Fleisches nach Halt. Seine Sandalen schieben sich zwischen Familien, Liebespaare und geduckte, hungrige Gespenster. Er betet, dass er nicht ausrutscht und einem alten Mann die Knochen bricht. Ein Schritt, tasten, ein Schritt, tasten.
    Flüche werden laut. Körper wälzen sich herum. Auf einem Absatz zwischen den Privilegierten, die flach daliegen können, hält Tranh inne. Dann watet er weiter. Immer weiter hinunter, von einem Absatz zum nächsten. Ein Schritt. Tasten. Ein Schritt. Tasten. Wieder ein Absatz. Weit unter ihm schimmert eine Andeutung grauen Lichts. Frische Luft streicht ihm übers Gesicht, liebkost seinen Körper. Aus dem Wasserfall anonymen Fleischs werden allmählich Individuen, Männer und Frauen, die über- und untereinanderliegen, mit hartem Beton als Kopfkissen, auf der schrägen, fensterlosen Treppe hingestreckt. Das graue Licht wird goldfarben. Das Bimmeln der Fahrradklingeln tönt jetzt lauter, so hell wie das Läuten der Cibiskoseglöckchen.
    Tranh stolpert aus dem Hochhaus hinaus und unter die Congee-Verkäufer, Hanfweber und Kartoffelkarren. Keuchend stützt er die Hände auf die Knie, saugt den aufwirbelnden Staub und den zertrampelten Straßenkot ein, dankbar für jeden Atemzug. Der Schweiß läuft ihm hinunter, Salzjuwelen fallen ihm von der Nasenspitze und befeuchten die roten Pflastersteine des Gehwegs. Hitze kann tödlich sein. Vor allem für alte Menschen. Aber ihm ist es gelungen, den Ofen zu verlassen; er ist nicht noch einmal geschmort worden, trotz der Gluthitze der Trockenzeit.
    Fahrräder wimmeln vorbei wie Karpfenschwärme, Pendler auf dem Weg zur Arbeit. Hinter ihm erhebt sich drohend das Hochhaus, vierzig Stockwerke Hitze, Kletterpflanzen und Schimmel. Eine vertikale Ruine eingeschlagener Fenster und geplünderter Wohnungen. Das Relikt der ruhmreichen Expansionszeit ist, ohne Klimatisierung oder Elektrizität, die sie vor der Glut der äquatornahen Sonne geschützt hätten, zu einem tropischen Sarg geworden. Bangkok verbannt seine Flüchtlinge in den blassblauen Himmel und hofft darauf, dass sie dort bleiben. Doch er ist lebend herausgekommen – trotz des Kadaverkönigs, trotz der Weißhemden, trotz seines hohen Alters ist er aus dem Himmel herabgestiegen.
    Tranh richtet sich auf. Männer rühren in Woks voller Nudeln und holen Baozi -Teigtaschen aus den runden Bambusdämpfern. Ein proteinreicher grauer Reisbrei Marke U-Tex erfüllt die Luft mit dem Geruch von fauligem Fisch und Bratfett. Tranhs Magen verkrampft sich vor Hunger, und der Speichel klebt ihm im Mund – das bisschen Flüssigkeit, das sein dehydrierter Körper zustande bekommt, wenn es nach Essen duftet. Teufelskatzen huschen Haien gleich zwischen den Beinen der Händler hindurch, auf der Jagd nach Leckerbissen, die vielleicht zu Boden fallen. Wie schillernde Chamäleons flitzen sie, gescheckt, getigert oder einfarbig, zwischen den hungrigen Leuten hindurch und verschmelzen fast mit dem Asphalt. Das Feuer unter den Woks brennt hell und heiß, die Flammen grünstichig vom Methan. Duftwolken steigen jedes Mal himmelwärts, wenn Reisnudeln in siedendes Öl klatschen. Tranh beißt die Zähne zusammen und wendet sich ab.
    Er schiebt sich durch das Gedränge, den Hanfbeutel auf dem Rücken, ohne darauf zu achten, wen er damit trifft und wer ihm

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