Der Spieler (German Edition)
Skype-Anrufe oder E-Mails – einfach alles wurde von der Leere verschluckt, die einmal das Land der Millionen Elefanten gewesen war. Die Straßen waren blockiert, das Telefonnetz brach zusammen. Wo mein Heimatland gewesen war, befand sich nur noch ein schwarzes Loch.
Manchmal, wenn ich nachts von dem Brausen und dem Gehupe des Verkehrs von Los Angeles geweckt werde, mitten im amerikanischen Schmelztiegel mit seiner verwirrenden Vielfalt von Sprachen aus Dutzenden von Ländern und Kulturen, dann stehe ich am Fenster und schaue auf eine breite Straße voll roter Lichter; hier ist es zu gefährlich, um nachts alleine auf die Straße zu gehen, und trotzdem richtet sich jedermann nach den Ampeln. Ich blicke auf all die unterschiedlichen lauten, unbesonnenen Amerikaner hinab und denke an meine Eltern: an meinen Vater, der es nicht übers Herz brachte, seinen Sohn unter einem selbsternannten Monarchen aufwachsen zu sehen; und an meine Mutter, die nicht wollte, dass ich deshalb ums Leben kam. Dann stehe ich am Fenster und weine, erfüllt von Dankbarkeit und Sehnsucht.
Jede Woche gehe ich zum Tempel und bete für sie, zünde Räucherstäbchen an, verbeuge mich dreimal vor Buddha, Dhamma und der Sangha und bete, dass sie eine gute Wiedergeburt haben mögen. Dann trete ich wieder hinaus ins Licht, in den Lärm und in das pulsierende Leben von Amerika.
Die grauen, blassen Gesichter meiner Kollegen in der Redaktion werden vom flackernden Licht ihrer Computer und Tablets erhellt. Ihre Tastaturen klackern, während sie Texte und Bilder in den Datenstrom einspeisen. Ein letzter Tastendruck, wie eine kleine Verbeugung vor der Taste mit der Aufschrift »Senden«, und alles wird ins Netz hinausgeschleudert.
Im Mahlstrom leuchtet ihre Arbeit auf, gespickt mit Tags zu Internetadressen, den Inhalten oder der Verbreitung in den sozialen Netzen. Die verschiedenen Medien-Konglomerate erblühen in ihren jeweiligen Farbcodes: Blautöne und Mickey-Maus-Ohren stehen für Disney-Bertelsmann; zwei rot umrandete Os in den Regenbogenfarben für die AOL-News von Google; grauweiße Nadelstreifen für Fox News Corp. Grün ist unsere Farbe: Milestone Media – ein Zusammenschluss von NTT DoCoMo, dem koreanischen Spiele-Konsortium Hyundai-Kubu und den qualmenden Überresten der New York Times Company. Es gibt auch noch andere, kleinere Sterne, die an dem kunterbunten Firmament erstrahlen, doch die sind zweitrangig. Wir sind die Herrscher in diesem Universum aus Licht und Farben.
Eine neue Meldung erscheint auf dem Bildschirm und taucht uns alle in das blutrote Leuchten von Google News; sie stammt geradewegs aus ihrem WhisperTech-Feed. Sie sind uns mal wieder zuvorgekommen. Es geht um neue Ohrstecker, die Frontal Lobe noch vor Weihnachten auf den Markt bringen will: ein Terabyte Speicher mit einer Pin-Line-Verbindung zur Oakley-Mikrorückkopplungsbrille. Eine echte Zukunftstechnologie – die Anwender können über Pin-Line-Scans der Iris auf ihre persönlichen Daten zugreifen. Die Analysten sagen voraus, dass einfach alles, von Handys bis hin zu digitalen Kameras, überflüssig werden wird, wenn Oakleys neue Technologie erst einmal ausgereift ist. Das Leuchtfeuer der Nachrichten wird immer heller und wandert ins Zentrum des Mahlstroms – immer mehr Besucher strömen zu Google und schauen sich dort gestohlene Bilder der Iris-Scan-Brille an.
Janice Mbutu, unsere Chefin vom Dienst, steht in der Tür ihres Büros und beobachtet das Geschehen mit gerunzelter Stirn. Die Redaktion ist in das rote Licht des Mahlstroms getaucht, ein nachdrücklicher Hinweis darauf, dass Google uns voraus ist, uns Traffic wegnimmt. Hinter Glaswänden schreien Bob und Casey, die Leiter von Der heiße Draht , unserem eigenen Feed für Unterhaltungselektronik, ihre Reporter an; sie verlangen bessere Ergebnisse. Bobs Gesicht ist beinahe so rot wie der Mahlstrom.
Eigentlich heißt der Mahlstrom »LiveTrack IV«. Würde man hinunter in den fünften Stock gehen und die Gehäuse der Server aufbrechen, dann würde man dort ein Fadenkreuz-Logo und die Worte TRUE SIGHT – WISSEN IST MACHT entdecken, in metallischem Orange auf die Chips gedruckt. Und das bedeutet: Auch wenn wir die Rechner von Bloomberg gemietet haben, so stammen die patentierten Algorithmen für die Datenanalyse von Google-Nielsen; wir bezahlen also einen Konkurrenten dafür, dass er uns sagt, was mit unserem eigenen Content passiert.
Mithilfe der Statistiksoftware von Google und der Nielsen-Hardware
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