Der Spieler
der störrischen und stolzen Polina, die sich nie einzuschmeicheln verstand. Aber jetzt, jetzt, nachdem Babuschka solche Heldentaten beim Roulettespiel vollbracht, jetzt, nachdem sich die Persönlichkeit Babuschkas so eindeutig und typisch (ein widerspenstiges, herrschsüchtiges altes Weib, et tombée en enfance) gezeigt hatte, jetzt war möglicherweise alles verloren: Denn jetzt freut sie sich kindisch über ihre Entdeckung und wird, wie es die Regel ist, alles auf Heller und Pfennig verlieren. “Mein Gott!” dachte ich (mit dem, vergib mir der Allmächtige, mit dem schadenfrohesten Lächeln), “mein Gott! Aber jeder Friedrichsdor, den Babuschka vorhin aufs Spiel gesetzt hatte, mußte ein Stich in das Herz des Generals gewesen sein, des Grieux rasend gemacht und Mademoiselle de Cominges, der man den Löffel am Mund vorbeiführte, an den Rand der Beherrschung gebracht haben. Und noch eine weitere Tatsache: Selbst nach dem Gewinn, selbst in der freudigen Stimmung, als Babuschka jeden Fremden für einen Bettler gehalten und alle beschenkt hatte, selbst da fuhr sie den General an: ›Du aber bekommst doch nichts von mir!‹ Das bedeutet: Sie bleibt bei diesem Gedanken, hartnäckig, sie muß es sich geschworen haben; gefährlich! gefährlich!”
Alle diese Überlegungen gingen mir durch den Kopf, als ich über die Prunktreppe von Babuschka hinaufging in die oberste Etage, in mein Kämmerchen. All das beschäftigte mich außerordentlich; wiewohl ich auch schon früher die wichtigsten armdicken Fäden vermutete, die die Akteure vor mir untereinander verbanden, waren mir dennoch alle Züge und Geheimnisse dieses Spieles verborgen geblieben. Polina hatte mir niemals ihr ganzes Vertrauen geschenkt. Obwohl sie mir mitunter, gleichsam unwillkürlich, einen Blick in ihr Herz gewährt hatte, mußte ich bemerken, daß sie vielfach, fast sogar immer nach solchen Offenbarungen, alles Gesagte entweder ins Lächerliche zog oder es verwirrte und absichtlich unglaubwürdig machte. Oh! Sie verschwieg vieles! Ich ahnte jedenfalls, daß das Finale dieses geheimnisvollen und spannungsgeladenen Zustandes nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Noch ein Schlag – und alles würde sein Ende finden und offenbar werden. Über mein eigenes Los, wiewohl ich in dieses ganze Geschehen einbezogen war, machte ich mir fast gar keine Sorgen. Ich war in einer seltsamen Stimmung: mit ganzen zwanzig Friedrichsdor in der Tasche; in einem fremden fernen Land, ohne Beschäftigung, ohne jegliche Existenzmittel, ohne Hoffnung, ohne Zukunftsaussichten und – und ohne die leisesten Sorgen darüber! Wäre nicht der Gedanke an Polina gewesen, ich hätte die Komik der bevorstehenden Lösung aller Knoten ungeteilt genossen und schallend gelacht. Aber Polina macht mich unsicher; ihr Los wird sich entscheiden, das fühle ich deutlich voraus, aber, offengestanden, es ist nicht ihr Los, das mich beunruhigt. Und ich möchte nicht nur in ihre Geheimnisse eindringen; ich möchte, daß sie zu mir kommt und sagt: »Aber ich liebe dich doch«, und wenn das nicht geschieht, wenn diese Verrücktheit undenkbar ist, dann … ja, was bleibt dann noch zu wünschen? Weiß ich denn, was ich wünschen soll? Ich habe selbst die Contenance verloren; ich möchte nichts anderes als in ihrer Nähe sein, in ihrer Aureole, in ihrem Lichtkranz, ewig, immer, lebenslang. Weiter weiß ich nichts! Und wie könnte ich sie verlassen?
Im dritten Stockwerk, in ihrem Gang, spürte ich so etwas wie einen Stoß. Ich wandte mich um und sah in etwa zwanzig oder mehr Schritt Polina, die gerade aus einer Tür trat. Sie schien gewartet, auf mich gewartet zu haben und winkte mich sogleich heran.
»Polina Alexandrowna …«
»Leise!« warnte sie.
»Stellen Sie sich vor«, flüsterte ich, »es war mir soeben, als hätte mich jemand angestoßen, ich drehe mich um – und da sind Sie! Als strömte eine Elektrizität von Ihnen aus!«
»Nehmen Sie diesen Brief«, sagte Polina, die besorgt und abweisend schien und offensichtlich meine Worte überhört hatte, »und übergeben sie ihn Mister Astley persönlich. Sofort. So schnell wie möglich, ich bitte Sie. Eine Antwort ist nicht nötig. Er selbst wird …«
Sie brach den Satz ab.
»Mister Astley?« fragte ich verdutzt.
Aber Polina war bereits hinter der Tür verschwunden.
“Aha, sie stehen also in Briefkontakt!” Ich machte mich selbstverständlich sofort auf den Weg, um Mister Astley ausfindig zu machen, zuerst in seinem Hotel, wo er
Weitere Kostenlose Bücher