Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spinnenkrieg

Der Spinnenkrieg

Titel: Der Spinnenkrieg
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
sie sich der Hypnosebehandlung der Jared unterzogen. Sie hatte jedesmal die gleiche Geschichte gehört. Mit Gurks Hilfe war es Stone gelungen, das Vertrauen der Freien Kolonie in Paris zu erringen. Viele junge Männer und Frauen hatten sich als Freiwillige gemeldet. Was nicht zuletzt an Charity lag. Schon die Erwähnung ihres Namens schien ausgereicht zu haben, aus diesen halben Kindern zu allem entschlossene Kämpfer zu machen, die mit Freuden ihr Leben geopfert hätten, wäre es von ihnen verlangt worden. Charity verstand das nicht. Natürlich wußte sie, daß Stone in einem Punkt recht hatte: Die Menschen hatten immer und zu allen Zeiten einen Führer gebraucht, eine Figur, zu der sie aufsehen und der sie ihre Bewunderung und ihr Vertrauen entgegenbringen konnten. Aber was Skudder und sie bisher erreicht hatten, das war entschieden zu wenig, um sie selbst gegen ihren Willen in diese Rolle zu drängen. Ihr Aufenthalt in Paris war nur kurz und nicht sonderlich erfolgreich gewesen. »Wohin fliegen wir?« drang Harris’ Stimme in ihre Gedanken. Charity zuckte mit den Schultern. »Ich wollte einfach sehen, wie sie sich verhalten.« Sie stand auf. »Gut, daß Sie mich daran erinnern. Ich habe Stone versprochen, der Stadt nicht zu nahe zu kommen.« »Wieso?« Erneut zuckte Charity die Achseln und begann auf das Cockpit zuzugehen. »Fragen Sie die Jared«, sagte sie. Sie duckte sich durch die niedrige Tür zum Cockpit hindurch, tauschte einen fragenden Blick mit Skudder und sah dann durch die Kanzel nach vorn. Weit im Norden wurde das matte Grün der Eifelwälder zum schwarzgrauen Schattenmuster einer zerstörten Stadt. Sie würden sicherlich noch eine Viertelstunde brauchen, um den Fluß und somit die Demarkationslinie zu erreichen, die sie nicht überschreiten durften. Aber sie hatte Stone tatsächlich ihr Wort gegeben, sich der Stadt nicht zu nähern. Es war ihr nicht schwergefallen, dieses Versprechen abzulegen. Mit dieser Stadt, dem Dom und der Jaredkönigin waren zu viele schmerzliche Erinnerungen für sie verbunden. Sie stützte sich lässig mit den Unterarmen auf die Rückenlehne von Skudders Sitz – und runzelte überrascht die Stirn. »Was ist das?« Skudder sah auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. »Was?« Charity deutete nach vorn. »Dort zwischen den Bäumen. Siehst du?« Skudder beugte sich im Sitz vor und sah einen Moment lang in die Richtung, in die Charity deutete. »Das sieht aus wie … Schnee«, sagte er überrascht. »Im August?« fragte Charity zweifelnd. Sie gab dem Piloten einen Wink. »Ändern Sie den Kurs. Das will ich mir ansehen.« Der junge Mann antwortete nicht, aber der Stalscopter schwenkte gehorsam herum und ging tiefer, während er sich der kleinen Waldlichtung näherte, auf die Charity gedeutet hatte. Nach einigen Augenblicken hatte er sie erreicht und blieb in der Luft stehen. Es ist tatsächlich Schnee, dachte Charity verwirrt. Das weiße Glitzern, das ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, war das Schimmern von Rauhreif im Gras. Nur hier und da stoben weiße Schneewehen von den Ästen der Bäume oder vom Boden hoch, als der Sturmwind der Rotoren den Schnee aufwirbelte. »Aber wie ist denn das möglich?«  wunderte sich Skudder. Charity schwieg. Der Anblick der pulvrigen Schneewehen verstärkte das ungute Gefühl in ihr. Niemand wußte wirklich, was die Moroni in den letzten fünfzig Jahren mit dem Klima dieses Planeten angestellt hatten oder welche Auswirkungen die zahllosen Atomsprengköpfe gehabt haben mochten, die bei der Ankunft der Außerirdischen in der Erdatmosphäre gezündet worden waren. Wahrscheinlich gab es auch noch eine ganze Reihe anderer, ebenso einleuchtender Erklärungen. Und doch … Dieses Phänomen irritierte sie nicht nur, es erschreckte sie. »Notieren Sie die Position im Computer«, befahl sie dem Piloten. »Vielleicht schauen wir es uns später noch einmal an.« Sie gab ihm ein Zeichen, weiterzufliegen, behielt die kleine, in mattem Weiß schimmernde Lichtung jedoch im Auge, bis sie ihren Blicken entschwunden war. Sie flogen weitere drei oder vier Minuten dicht über den Baumwipfeln dahin in nördlicher Richtung, ohne auf ein weiteres Anzeichen dafür zu stoßen, daß mit diesem Wald irgend etwas nicht stimmte, dann wandte sich Charity um und machte einen Schritt zur Tür zurück. »Tribeaux?« fragte sie. »Haben Sie Lust zu übernehmen?« Die junge Französin stand mit einem wortlosen Nicken auf, und Charity trat wieder neben den Piloten.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher