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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Emberland
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bedroht, ist Herr Winther. Er steht am Rande des Abgrunds, um es so zu sagen. Wenn Sie versuchen, ihm zu helfen, werden Sie beim Sturz möglicherweise mitgerissen.«
    Er hob höflich den Hut. »Leben Sie wohl, Herr Erfjord!«
     
    Diesmal benutzte er nicht die marode Feuerleiter. Ich blieb bewegungslos sitzen, während er die Wohnungstür schloss. Ich konnte seine Schritte auf der Treppe noch eine Weile hören, dann wurde es still. Eine ganze Zeit danach nahm ich nicht das geringste Geräusch wahr, dann fiel die Haustür unten ins Schloss. Mit großer Mühe schleppte ich meinen geschundenen Körper von der Chaiselongue zum Fenster. Bondi ging in Richtung Mollervei. Die Bahn war frei.
    Ich ging in den Flur hinaus und wählte die Nummer des Chat Noir.
    Ein junger Mann meldete sich. »Klingenberg Theater, bitte sehr!«
    »Hier spricht Erfjord von Arbeiderbladet«, sagte ich. »Ich würde gern mal vorbeischauen, um Lennart Winther Guten Tag zu sagen. Wissen Sie, ob er sich gerade im Theater aufhält?«
    »Das tut er ganz bestimmt. Nachdem er am Mittwoch gewaltig zusammengestaucht worden ist, sitzt er zwischen den Proben nur noch schmollend in der Garderobe.«
    »Warum ist er denn zusammengestaucht worden?«
    »Er war nicht da, als die Nachmittagsprobe um drei Uhr anfangen sollte. Das ist in diesem Theater eine Todsünde. Herr Winther hat es geschafft, nicht weniger als eine Dreiviertelstunde zu spät zu kommen. Ich rechnete schon damit, dass Amble-Naess platzen würde, so wütend war er.«
    »Was Sie nicht sagen! Hat Lennart denn jetzt Pause?«
    »Ja, sicher. Soll ich oben im Schauspielerfoyer anrufen und fragen, ob jemand ihn holen kann?«
    »Nein, danke«, sagte ich. »Soll die Primadonna nur weiterschmollen. Umso besser wird seine Laune sein, wenn ich auftauche.«
    Ich rief beim nächsten Droschkenhalteplatz an und bat um einen Wagen. Danach goss ich Wasser in die Waschschüssel, zog meine blutige Kleidung aus und wusch mir gründlich den Oberkörper. Als die Türklingel ertönte, war ich so präsentabel, wie mein Zustand es überhaupt erlaubte, in hellgrauer Windjacke und zimtbrauner Kniebundhose. Ich ließ die Tür ins Schloss fallen und ging mit steifen Schritten die Treppe hinunter zur wartenden Droschke.
    Jetzt sollte Lennart gefälligst die Karten auf den Tisch legen!
     
    Im Chat Noir
     
    Eine Viertelstunde darauf stand ich vor dem viereckigen Theatergebäude mit dem Mansardendach und den Zwiebelkuppeln zu beiden Seiten der Eingangspartie. Der Tivoligarten war düster und deprimierend mit seinen leeren Häusern, nackten Bäumen und stillgelegten Springbrunnen, alles hier schien resigniert zu haben und nur noch darauf zu warten, dass es vom Fortschritt hinweggefegt würde. Gleich hinter dem Klingenberg-Theater ragte das Skelett des neuen Rathauses in den Himmel. In einigen Jahren würde dieser Klinkerriese ganz allein über einen von modernen Geschäftshäusern umsäumten Platz herrschen, dachte ich. Der Tivoligarten, diese bezaubernde grüne Oase mitten in der Stadt, würde von den Füßen des Giganten zertreten werden. Eine neue Zeit für die Stadt zog herauf.
    Im Restaurant des Klingenberg-Theaters saßen Bias Bernhoft und Arild Feldborg, eifrig in die Bearbeitung eines Revuetextes vertieft. Sie bemerkten nicht einmal, dass ich durch das Lokal ging und dann die Tür zum Treppenhaus hinter der Vorbühne öffnete. Dahinter war die Orientierung schwieriger. In der Dunkelheit spendete eine blaue Lampe gerade so viel Licht, dass ich die schmale Treppe ahnen konnte, die zu den Etagen für Schauspielerfoyer, Nähstube und Malersaal hinaufführte.
    Zögernd stieg ich die ersten Stufen hoch, aber bald tauchten verschmutzte Glühbirnen in alten Fassungen auf, was es mir ermöglichte, mein Tempo zu steigern. Ich erreichte eine Tür, die auf einen Gang mit Garderoben auf beiden Seiten führte. Es war, wie durch ein langes schmales Lager zu gehen, in allen Winkeln und Nischen standen alte Requisiten, ausrangierte Möbel und mit noch verwendbaren Kostümen überhäufte Garderobenständer. Ich hatte das Gefühl, hier stundenlang umherirren zu können, ohne die richtige Garderobe zu finden. Aber am Ende hatte ich Glück und fand eine Tür, an der Lennarts Name stand.
    Ich klopfte an und ging hinein, ohne auf Antwort gewartet zu haben.
    Lennart saß da mit dem Rücken zu einem großen Spiegel mit Glühbirnen am Rahmen. Oben am Spiegel und an einer Tafel daneben waren Briefe befestigt, die er von seinen Bewunderinnen erhalten

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