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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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mit einem Arm oder einem Bein zuckte, so als höre sie die Musik nur in Bruchstücken. Dabei sah sie die ganze Zeit mit dem frühreifen Interesse eines Kindes, das in die Gesellschaft von Erwachsenen geraten ist, zu ihnen her. Plötzlich steigerte die Musik ihr Tempo, und das Mädchen reagierte darauf, wie ein Hund auf die Pfeife, indem es vor und zurück hüpfte. Beim letzten Akkord nahm sie ihren Büstenhalter ab, hielt ihn über ihren Kopf und stellte ihren mageren Körper zur Schau, von dem an drei Stellen Flitter herunterhing wie alter Christbaumschmuck.
    Leamas und Kiever sahen schweigend zu.
    »Ich nehme an, Sie werden mir jetzt erzählen, dass wir in Berlin Besseres gesehen haben«, bemerkte Leamas schließlich. Kiever merkte, dass der andere noch immer sehr ärgerlich war.
    »Ich vermute, dass Sie das haben!« entgegnete Kiever liebenswürdig. »Ich selbst bin zwar oft in Berlin gewesen, aber leider muß ich gestehen, dass ich Nachtklubs verabscheue.« Leamas schwieg. »Ich bin nicht prüde, verstehen Sie, aber ich bin vernünftig. Ich weiß billigere Methoden, um eine Frau zu finden, wenn ich eine brauche. Und wenn ich tanzen will, kenne ich bessere Lokale.« Leamas hatte ihm nicht zugehört.
    »Vielleicht erzählen Sie mir, warum sich dieser warme Bruder aufgedrängt hat«, schlug er vor.
    »Gern«, nickte Kiever. »Ich gab ihm den Auftrag.«
    »Warum?«
    »Ich bin interessiert an Ihnen. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, einen journalistischen Vorschlag.«
    Eine Pause entstand.
    »Aha. Einen journalistischen«, wiederholte Leamas. »Ich verstehe.«
    »Ich habe eine Agentur, einen internationalen Feuilletondienst. Die Agentur zahlt gut - sehr gut - für interessantes Material.«
    »Wer wird es veröffentlichen?«
    »Ich zahle so gut, dass ein Mann mit Ihren Erfahrungen im … im internationalen Geschehen, ein Mann mit Ihrem Hintergrund, verstehen Sie, der überzeugendes Tatsachenmaterial liefern kann, in verhältnismäßig kurzer Zeit aus allen finanziellen Schwierigkeiten heraus wäre.«
    »Wer veröffentlicht das Material, Kiever?« In seiner Stimme war ein drohender Unterton, und für einen Augenblick schien sich Angst in Kievers glattes Gesicht zu schleichen.
    »Internationale Kunden. Ich habe einen Mitarbeiter in Paris, der eine Menge meines Stoffes absetzt. Oft weiß ich gar nicht einmal, wo eigentlich etwas veröffentlicht wird.« Er setzte mit einem entwaffnenden Lächeln hinzu: »Ich muß gestehen, dass ich mich nicht sonderlich darum kümmere. Man zahlt und verlangt nach mehr. Sehen Sie, Leamas: meine Kunden gehören zu den Leuten, die wegen dummer Einzelheiten keine großen Geschichten machen. Sie zahlen prompt und sind noch dazu froh, wenn sie in ausländischen Banken einzahlen können, wo niemand nach Steuern fragt.«
    Leamas sagte nichts. Er hielt sein Glas mit beiden Händen und starrte hinein.
    Jetzt überschlägt er sich direkt, dachte Leamas, es ist schon fast unanständig. Ein alberner Varietescherz fiel ihm ein: »Dies ist ein Angebot, das kein anständiges Mädchen annehmen kann - außerdem wüßte ich nicht, ob sich's bei ihr auszahlt.«
    Taktisch handeln sie richtig, wenn sie es jetzt beschleunigen, dachte er. Ich bin über meine Vorgesetzten wütend, das Gefängniserlebnis ist frisch, der soziale Groll stark. Ich bin ein alter Gaul, der nicht erst zugeritten werden muß. Ich brauche nicht so zu tun, als hätten sie die Ehre eines englischen Gentlemens verletzt. Auf der anderen Seite würden sie sachliche Einwände erwarten. Sie erwarteten sicherlich, dass er Angst bekam, denn seine Organisation war bei der Verfolgung eines Verräters so unnachsichtig wie das Auge Gottes, das Kain durch die Wüste folgte.
    Aber schließlich mußten sie wissen, dass es ein Glücksspiel war. Sie waren sich sicher im klaren darüber, dass die Unberechenbarkeit jedes menschlichen Entschlusses das bestgeplante Spionagenetz zerreißen konnte, denn es gab schon Betrüger, Lügner und Verbrecher, die allen schmeichlerischen Künsten zu widerstehen vermochten, während angesehene Gentlemen allein durch den wäßrigen Kohl in einer Regierungskantine zum größten Verrat gebracht worden waren.
    »Sie werden eine Menge zahlen müssen«, murmelte Leamas schließlich. Kiever schenkte ihm noch einen Whisky ein.
    »Man bietet Ihnen eine Sofortzahlung von fünfzehntausend Pfund. Das Geld liegt schon bei der Kantonalbank in Bern. Sie können es gegen Vorlage eines entsprechenden Ausweises abheben, den Sie von

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