Der Spion, der aus der Kälte kam
seine Interessen wirkte, da sie ihn automatisch zur Auslese von Informationen verführen würde, während Peters keine Auslese wünschte. Leamas hatte bestimmte Vorstellungen darüber, welche Art Auskünfte Peters brauchte, und diese Vorstellungen mochten ihn dazu verleiten, nicht in sie hineinpassende Dinge in seinem Bericht zu übergehen, obwohl sie womöglich von größtem Interesse für die Auswerter waren. Zu all dem mußte Peters noch die launischen Eitelkeiten eines alkoholischen Wracks hinzurechnen.
»Ich denke«, sagte er, »wir sollten jetzt Ihren Berlineinsatz im Detail besprechen. Das wäre also die Zeit von Mai 1951 bis März 1961. Nehmen Sie noch einen Drink!«
Leamas beobachtete ihn, als er eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch nahm und sie anzündete. Er registrierte, dass Peters Linkshänder war und dass er die Zigaretten stets so in den Mund steckte, dass sich der Markenaufdruck am anderen Ende befand und also verbrannte. Es war eine Entdeckung, die Leamas gefiel: sie zeigte, dass Peters wie er selbst vom Fach war.
Peters hatte ein merkwürdiges Gesicht. Es war ausdruckslos und grau. Die Farbe mußte es längst verlassen haben - vielleicht in einem Gefängnis während der frühen Tage der Revolution -, und jetzt waren seine Züge geformt, Peters würde dieses Aussehen behalten, bis er starb. Nur das borstige graue Haar mochte vielleicht weiß werden, aber sein Gesicht würde so bleiben. Leamas fragte sich, wie der wirkliche Name von Peters wohl lauten mochte und ob er verheiratet sei. Es war etwas sehr Strenggläubiges an ihm, das Leamas schätzte. Es war der Glaube an die eigene Stärke, ein großes Selbstvertrauen. Wenn Peters log, dann nicht ohne guten Grund. Seine Lüge würde kalkuliert und notwendig sein und sehr weit entfernt von der linkischen Unehrlichkeit eines Ashe.
Ashe, Kiever, Peters: das war eine unübersehbare Steigerung der Qualität, der Autorität, was für Leamas das Wesentliche an der Rangordnung eines Spionagenetzes darstellte. Er nahm an, dass mit dieser Steigerung ein Fortschritt im Bereich des Moralischen verbunden war: Ashe, der Söldling; Kiever, der Mitläufer; und jetzt Peters, für den sich die Mittel allein aus dem Ziel rechtfertigten.
Leamas begann über Berlin zu sprechen. Peters unterbrach ihn kaum, stellte selten eine Frage oder machte eine Bemerkung. Aber wenn er es tat, so zeigte er eine technische Wißbegier und eine Gewandtheit, die vollkommen der Art von Leamas entsprach. Leamas schien sich von der leidenschaftslosen, berufsmäßigen Sachlichkeit seines Befragers sogar angenehm angesprochen zu fühlen - es war die Art, die ihnen beiden gemeinsam war.
Es habe viel Zeit in Anspruch genommen, ein brauchbares Netz von Berlin aus in der Ostzone aufzubauen, erklärte Leamas. In den ersten Jahren war die Stadt von zweitklassigen Agenten überschwemmt: Die Nachrichtenbeschaffung in Berlin war entwertet und zu einer so alltäglichen Sache gemacht worden, dass man einen neuen Mann bei einer Cocktailparty anwerben und beim Abendessen instruieren konnte, und bis zum Frühstück war er dann schon hochgegangen. Für einen Fachmann war es ein Alptraum: Dutzende verschiedener Organisationen, von denen die Hälfte mit Gegenagenten durchsetzt war, Tausende von losen Enden, zu viele Hinweise, zu wenig ernsthafte Quellen, zu wenig Raum, um operieren zu können. Wohl gab es mit Feger 1954 einen vielversprechenden Anfang, aber ausgerechnet 1956, als jede Geheimdienstabteilung nach erstklassigen Informationen schrie, steckten sie in einer ausgesprochenen Flaute. Feger hatte sie finanziell ausgeplündert, aber nur zweitklassiges Material dafür geliefert, das den allgemeinen Nachrichten nur um eine Nasenlänge voraus war. Sie hätten die eigentlichen, entscheidenden Informationen gebraucht - und sie mußten weitere drei Jahre warten, ehe sie diese Art Sachen bekamen.
Sie stießen auf die Quelle, als de Jong eines Tages einen Picknickausflug in die Wälder am Rande Ostberlins machte. Er fuhr einen Wagen mit britischer Militärnummer, den er auf einem Weg neben dem Kanal abgeschlossen parkte. Nach dem Picknick liefen die Kinder mit dem Korb voraus. Als sie den Wagen erreichten, blieben sie stehen, zögerten, ließen den Korb fallen und rannten zurück. Jemand hatte die Wagentür aufgebrochen. Der Griff war beschädigt und die Tür leicht geöffnet. De Jong fluchte, weil er sich erinnerte, dass er die Kamera im Handschuhfach gelassen hatte. Er ging hin und untersuchte
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