Der Spion, der aus der Kälte kam
vermutete, dass er sich für den Hausgebrauch eine Art Kurzschrift zugelegt hatte.
»Hackett, Sarrow und de Jong. De Jong starb neunundfünfzig bei einem Verkehrsunfall. Wir waren der Meinung, dass er ermordet worden ist, konnten es aber nie beweisen. Sie hatten alle ihre Netze und standen unter meinem Befehl. Wünschen Sie Einzelheiten?« fragte er trocken.
»Natürlich, aber erst später. Fahren Sie fort.«
»Gegen Ende vierundfünfzig zogen wir in Berlin den ersten großen Fisch an Land: Fritz Feger, zweiter Mann im DDR-Verteidigungsministerium. Bis dahin war es nur sehr zäh gegangen. Aber im November kamen wir an Fritz heran. Er hielt sich fast zwei Jahre. Dann plötzlich hörten wir nichts mehr von ihm. Ich habe erfahren, er sei im Gefängnis gestorben. Es dauerte drei Jahre, ehe wir wieder jemanden fanden, der ihm gleichkam. Das war neunundfünfzig, als Karl Riemeck auftauchte. Er war im Präsidium der ostdeutschen KP. Er war der beste Agent, den ich jemals gekannt habe.«
»Er ist jetzt tot«, bemerkte Peters.
Leamas' Gesicht schien für einen Augenblick den Ausdruck fast schlechten Gewissens anzunehmen: »Ich war dort, als er erschossen wurde«, murmelte er. »Er hatte eine Freundin, die, kurz ehe er starb, herüberkam. Er hatte ihr alles erzählt. Sie kannte das ganze verdammte Netz. Kein Wunder, dass er erwischt wurde.«
»Wir kommen später auf Berlin zurück. Sagen Sie: Nachdem Karl gestorben war, flogen Sie doch nach London zurück. Sind Sie für den Rest Ihrer Dienstzeit dort geblieben?«
»Was davon übrigblieb, ja.«
»Welche Aufgaben hatten Sie?«
»Bankabteilung: Überprüfung von Agentengehältern, geheime Auslandszahlungen. Ein Kind hätte es bewältigen können. Wir hatten unsere Befehle und danach unterschrieben wir die Überweisungsaufträge. Gelegentlich machte uns die Sicherheitsfrage Kopfzerbrechen.«
»Haben Sie mit Agenten direkt verhandelt?«
»Wie hätten wir können? Unser ständiger Mann in einem bestimmten Land forderte für irgend etwas eine Summe an, die Direktion gab ihre Genehmigung, und wir erhielten den Auftrag, die Überweisung vorzunehmen. In den meisten Fällen transferierten wir das Geld an eine geeignete ausländische Bank, wo es sich unser Mann abholen und dem Agenten geben konnte.«
»Wie wurden Agenten bezeichnet? Mit Decknamen?«
»Mit Kennziffern. Im Rondell heißt das ›Kombinationen‹. Jedem Netz ist eine Kombination zugewiesen: der Agent ist durch eine Zahl gekennzeichnet, die an die Kombination angehängt wird. Karls Kombination war 8 a/1.«
Leamas schwitzte. Peters beobachtete ihn gelassen. Wie ein Berufsspieler schätzte er ihn über den Tisch hinweg. Was war Leamas wert? Womit konnte man ihn brechen, was zog ihn an, was stieß ihn ab? Was haßte er? Vor allem: was wußte er? Würde er seine beste Karte bis zuletzt behalten, um sie teuer zu verkaufen? Peters glaubte das nicht. Leamas war zu sehr aus dem Gleichgewicht, um herumspielen zu können. Er war uneins mit sich selbst, ein Mann, der bisher nur ein Leben und einen Glauben gekannt hatte. Daran war er nun zum Verräter geworden. Peters hatte so etwas schon öfter gesehen, sogar bei Männern, die eine völlige ideologische Wandlung durchgemacht hatten. Obwohl sie in einsamen Nachtstunden einen neuen Glauben gefunden hatten und allein von der inneren Kraft ihrer neuen Überzeugung zum Verrat an ihrem Beruf, ihrer Familie, ihrem Vaterland gebracht worden waren, hatten selbst sie, die doch gleichsam mit neuem Eifer und neuer Hoffnung erfüllt waren, gegen das Stigma des Verrates zu kämpfen gehabt. Selbst sie rangen mit der physischen Pein, die ihnen das Aussprechen jener Dinge bereitete, die niemals, niemals zu offenbaren, sie gelehrt worden waren. Wie abtrünnige Christen, die sich scheuten, das Kreuz zu verbrennen, zögerten sie zwischen ihrem Instinkt und der Vernunft. Und Peters, der in demselben Gegensatz gefangen war, mußte ihnen Beruhigung geben und ihren Stolz zerstören. Es war eine Situation, die ihnen beiden bewußt war. Deshalb wehrte sich Leamas leidenschaftlich gegen eine menschliche Beziehung zu Peters, die sein Stolz nicht zugelassen hätte. Und Peters wußte, dass Leamas aus diesen Gründen lügen würde, vielleicht nur durch Verschweigen, aber trotz allem lügen - aus Stolz, aus Trotz oder auch nur aus der Perversität, die zur Natur seines Berufes gehörte. Peters' Aufgabe war es, diese Lügen zu erkennen. Ihm war klar, dass schon allein die Berufserfahrung von Leamas gegen
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