Der Spion der mich liebte
ein neues Kapitel begann und wir mit all unseren liebgewordenen Gewohnheiten würden brechen müssen. Doch als wir in unserer Loge saßen, war Derek trübe gestimmt. Er nahm mich nicht wie sonst in seine Arme, sondern saß ein Stück von mir entfernt, rauchte und verfolgte die Geschehnisse auf der Leinwand. Ich rückte näher an ihn heran und nahm seine Hand, doch er saß unbeweglich und starrte vor sich hin. Ich fragte ihn, was los sei. Nach einer kleinen Pause sagte er trotzig: »Ich will mit dir schlafen. Ich meine, richtig.«
Ich war entsetzt. Es kam von dem rauhen Ton, den er angeschlagen hatte. Wir hatten natürlich darüber gesprochen, doch zwischen uns hatte eine Art stillschweigender Vereinbarung bestanden, daß das später kommen würde. Jetzt setzte ich seinem Verlangen die gleichen alten Argumente entgegen, doch ich war nervös und bestürzt. Warum mußte er unseren letzten Abend verderben? Er widersprach mir, ich sei ein prüdes Geschöpf. Schließlich seien wir doch Liebende, warum sollten wir uns dann nicht auch so benehmen? Zitternd dachte ich darüber nach. Vielleicht lag darin etwas Wahres. Es wäre eine Art Besiegelung unserer Liebe. Doch ich hatte Angst. Seine Liebkosungen waren so mechanisch und zielstrebig, daß ich fast geweint hätte. Und dann stürzte die Welt ein.
Plötzlich strömte ein breiter Strahl gelben Lichts herein, und eine erboste Stimme zischte von hinten über mir: »Was, zum Teufel, macht ihr da in meinem Kino! Steht sofort auf.« Ich weiß nicht, wieso ich nicht in Ohnmacht gefallen bin. Derek stand schon. Sein Gesicht war weiß wie die Wand. Ich richtete mich auf, stieß an die Wand der Loge. Dann stand ich stocksteif da, wartete darauf, getötet zu werden. Die dunkel umrissene Gestalt unter der Tür deutete auf meine Handtasche auf dem
Boden. »Hebt das auf!« Ich bückte mich rasch. »Und jetzt, 'raus!« Er stand noch immer da, versperrte fast die Tür, während wir an ihm vorbeistolperten, kleinlaut, mit gesenkten Köpfen.
Der Direktor schlug die Tür der Loge zu und rannte rasch an uns vorbei, wahrscheinlich weil er dachte, wir würden davonlaufen. Zwei oder drei Zuschauer hatten sich von den hinteren Reihen ins Vestibül begeben. Die Kassiererin war aus ihrer Loge hervorgetreten, und ein paar Leute, die draußen die Schaukästen angesehen hatten, blickten herein. Der Direktor war ein untersetzter dunkelhaariger Mann in einem engen Anzug und mit einer Blume im Knopfloch. Sein Gesicht war rot angelaufen vor Wut, als er uns musterte. »Dreckige kleine Schweine!« Er wandte sich mir zu. »Und dich habe ich schon früher hier gesehen. Nichts Besseres als ein gemeines Straßenmädchen. Ich habe verdammt gute Lust, die Polizei zu holen. Unzüchtiges Benehmen und Hausfriedensbruch.« Die Worte kamen wie geschmiert aus seinem Mund. Schon häufig mußte er in seinem dunklen häßlichen Kino mit ihnen gedroht haben.
Er wies auf die Straße hinaus. Furchtsam schlichen wir an ihm vorbei. Er folgte uns, noch immer den Arm ausgestreckt. »Und untersteht euch ja nicht, euch jemals wieder hier blicken zu lassen! Ich kenne euch beide. Wenn ihr nochmal hier aufkreuzt, hole ich die Polizei!«
Die schadenfrohen Blicke der wenigen Zuschauer folgten uns. Ich nahm Dereks Arm. Warum nahm er eigentlich nicht den meinen? Wir traten aus dem Schein der gräßlichen hellen Lampen und wandten uns hügelabwärts, so daß wir schneller gehen konnten. Wir blieben erst stehen, als wir zu einer Seitenstraße kamen. Dort bogen wir dann ein und wanderten langsam wieder hügelaufwärts zu der Stelle, wo der MG stand. Derek sprach kein Wort. Erst als wir in die Nähe des Wagens kamen, öffnete er den Mund.
»Wir müssen vermeiden, daß er sich die Wagennummer notiert«, erklärte er sachlich. »Ich gehe jetzt das Auto holen,
Warte du gegenüber von Füller am Windsor Hill auf mich. In zehn Minuten bin ich wieder da.«
Ich blickte ihm nach, der hochgewachsenen Gestalt, die ihre aufrechte und stolze Haltung wiedergefunden hatte. Dann drehte ich mich um und ging zurück zu einer Gasse, die parallel zur Farquhar Street zum Schloß hinaufführte. Unter einer Straßenlaterne blieb ich stehen und zog meinen Spiegel heraus. Ich sah grauenhaft aus. Mein Gesicht war so weiß, daß es grünlich wirkte. Ich schauderte. »Dreckige kleine Schweine!« Wie recht der Mann hatte. Irgend jemand würde sich bestimmt an die Nummer von Dereks Wagen entsinnen, ein kleiner Junge, der Autonummern sammelte. Irgendein
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