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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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Dufresne.
    »Wen?«
    »Van Upp.«
    »Das habe ich doch bereits gesagt, ja. Sobald ich ihn sehe …«
    »Wie ist er?«
    Jetzt schaute Nora verdrossen. »Was meinen Sie? Wie er aussieht?«
    »Groß und mächtig. Eine Windmühle, nicht wahr?«, sagte Dufresne und breitete die Arme wie Flügel aus. »Und wie fühlt man sich in seiner Nähe? Sagen Sie mir: Was ist mit seinen Augen?«
    »Herr Dufresne …«
    »Sie haben recht, es tut mir leid. Ich wollte sowieso gehen. Also dann.«
    Der kleine Mann drehte sich um und schlurfte mit seinen schmutzigen Schuhen zur Tür. Kurz darauf blieb er noch einmal stehen und sah Nora an. In seinen Augen war ein koboldartiges, grünes, boshaftes Blitzen.
    »Sie haben nicht die geringste Ahnung, nicht wahr? Sie wissen gar nichts. Sie haben nicht einmal einen Verdacht.«
    Nora öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie wusste nicht was.
    Dufresne grüßte zum Abschied mit seiner riesigen Mütze: ein gekonnter elisabethanischer Schwung durch die Luft, eine Verbeugung, und schon war er entschwunden.
    IX
    Nadal hatte es mit wahrer Freude aufgenommen, dass Van Upp ihn mit der Koordination betraut hatte. Der Verrückte war also nicht völlig neben der Spur, er wusste den Wert der Erfahrung zu schätzen. Kurz bevor er das Präsidium verlassen hatte, hatte er vor Dumont ein wenig damit geprahlt. (Das war jetzt fast drei Tage her, neunundsechzig Stunden, in denen er nicht geschlafen hatte.) »Er ist verrückt, das ja«, hatte er zu Dumont gesagt, während er sich den Mantel anzog, »aber er ist alles andere als dumm.«
    Jetzt war Nadal sich nicht mehr ganz so sicher, was Van Upp im Schilde führte.
    Unzählige Male hatte er die Stadt in seiner Laufbahn schon durchkämmt. Nadal kannte die Verstecke der üblen Gesellen, die Viertel, zu denen Polizisten in Uniform keinen Zutritt hatten. Außerdem verfügte er über ein zuverlässiges Informantennetz, darunter Händler (denen sehr daran gelegen war, jeglichem Konflikt mit dem Gesetz aus dem Weg zu gehen; nicht einer hatte gültige Papiere), Exsträflinge, Straßenkehrer und Müllleute, Schulbedienstete, Vorstadtpolitiker bis hin zu Hausportiers. »Von fünf Leuten, die ich auf der Straße treffe«, pflegte er zu sagen, »könnten drei jederzeit zum Hörer greifen und mir Informationen geben.«
    Aber auf dem Land? Dort gab es weder Informanten noch heiße Zonen. Der größte Teil dieses Gebiets war schon wochenlang nicht mehr betreten worden, und auf seiner endlosen Fläche taten sich weit größere Rätsel auf als im Relief der Stadt. Jeder Zentimeter konnte hier zum Grab werden.
    Unter freiem Himmel fühlte Nadal sich wie ein vollkommen anderer. Er war schmutzig, und die Matschflecken reichten ihm bis hoch an die Leiste. Seine Hände brannten, gepeinigt von Insekten und den ätzenden Säften einiger Dornen. Aber am meisten irritierte es ihn, dass er die Orientierung verloren hatte. Selbst die Kommunikation war gestört (irgendein atmosphärisches Phänomen machte aus den Walkie-Talkies ein nutzloses Accessoire), und das erschwerte die Koordination der Einsatzkräfte. Von allem und selbst von der Technik verlassen, hatte er die Polizei vor Ort auf eigene Faust suchen lassen; die Beamten waren es gewohnt, das Land Meter für Meter zu durchkämmen.
    Als sie zu einem unbewohnten Landhaus kamen, bestand er darauf, das Gebäude selbst zu durchsuchen; er dachte, innerhalb von vier Wänden könne er vielleicht nützlicher sein. Aber sein Einsatz blieb ergebnislos, und so kehrte er an die Haustür zurück und beobachtete von dort aus die Lampen und Scheinwerfer der Männer, die das Feld absuchten.
    »Was für eine Ruine«, sagte M, ein ortsansässiger Polizist. »Die Gegend ist voll von verlassenen Häusern. Auch einen Schluck?«, fragte er und hielt Nadal die Schnapsflasche hin. Nadal zögerte, bevor er sie nahm, fast schon beschämt. Es kränkte ihn, dass ein Provinzpolizist besser vorbereitet war als er, sogar was das dringendste aller Bedürfnisse anging.
    »Dieses Haus ist das traurigste von allen«, fuhr der Polizist fort. »Ein Engländer hat hier gelebt, ein gewisser Spenser, das Opfer eines Fluchs. Er war ein großer Jäger, auf jeglichem Gebiet, mehr als vierzig uneheliche Kinder soll er gehabt haben. Und die Großmutter einer seiner Eroberungen …«
    »Wenn es für jede Geschichte eine Münze gäbe …«
    »Die Frau hat Spenser verflucht, weil er ihre Enkelin geschwängert hat. Winselnd wie ein Hund solle er verrecken. Wissen Sie, der Mann

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