Der Spion und die Lady
Mittagsmahl serviert. In stillschweigendem Einverständnis vertagten sie die ernsteren Themen bis nach der Mahlzeit. Aber als der Kaffee gebracht wurde, hob Desdemona fragend die Brauen. »Was ist nun mit diesen Männern?«
»Einen von ihnen habe ich erkannt. Ich halte ihn für denjenigen, den Ihr Bruder Miss Collins hinterhergeschickt hat.« Dann erklärte Wolverhampton, wie er einige Tage zuvor mit Simmons zusammengetroffen war. »Also sind nicht nur wir beiden den Flüchtigen auf der Spur, sondern offensichtlich auch Simmons und seine Helfer.«
»Das Ganze hat entschieden etwas von einer Farce.« Unwillkürlich verzogen sich Desdemonas Lippen zu einem Lächeln. »Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, gefallen mir Simmons und seine Kumpane ganz und gar nicht.«
»Männer, die derartige Aufträge übernehmen, stammen nun einmal nicht aus den allerbesten Kreisen«, entgegnete der Marquis trocken. »Aber wenn sie beauftragt sind, Miss Collins nach Durham zurückzubringen, werden sie ihr kaum etwas antun. Ich befürchte allerdings, daß sie mit meinem Bruder nicht ganz behutsam umgehen könnten.«
»Nach allem, was Sie mir erzählten, scheint Lord Robert doch bisher jede Runde gewonnen zu haben.« Desdemona nahm einen tiefen Schluck des brühheißen schwarzen Kaffees. »Sie sagten, er hätte sich lange Jahre nicht in England aufgehalten. Als Diplomat oder bei der Armee?«
Wolverhampton seufzte tief auf, spielte mit seiner Tasse und schien unschlüssig, wie er reagieren sollte. »Darauf antworte ich Ihnen nur, wenn Sie mir versprechen, mit niemandem darüber zu reden.«
»War sein Verhalten denn so entwürdigend?«
Der Marquis hob den Kopf. Seine schiefergrauen Augen funkelten kälter, als sie sie je zuvor gesehen hatte. »Ganz im Gegenteil. Aber seine Betätigung war höchst geheim und könnte Konsequenzen für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte haben. Darüber hinaus bin ich ÜB
Grunde nicht befugt, Ihnen davon zu erzählen.«
»Ihr Bruder war ein Spion?« Dieser Schluß lag nahe. »Daher also seine Vorstellungen von noblem Verhalten«, fügte sie mit beißendem Spott hinzu.
Bei ihrem Ton bekam Giles ganz schmale Augen.
»Ja, er war ein Spion. Ein Ausübender des gefährlichsten und am wenigsten lohnenden Kriegshandwerks, äußerst notwendig und ungemein geheim. Robin war fast noch ein Junge, als er während des Friedens von Amiens auf den Kontinent reiste und dort etwas in Erfahrung brachte, was seiner Ansicht nach die britische Regierung wissen sollte. Man schlug ihm vor, an Ort und Stelle zu bleiben, und in den folgenden zwölf Jahren riskierte er Tausende von Malen Leben und Gesundheit, um sein Land zu beschützen und den Krieg schneller zu beenden.«
Der Marquis brach ab, so lange, bis sein Schweigen eine irgendwie bedrohliche Qualität erhielt. Dann setzte er mit leiser, aber harter Stimme hinzu: »Und das alles, damit Menschen wie Sie sicher und selbstgefällig in England sitzen und über ihn urteilen können.«
Erröten ist der Fluch aller Rothaarigen, und Desdemona bildete da keine Ausnahme. »Ich muß mich entschuldigen«, brachte sie mühsam hervor.
»Ganz unabhängig davon, wie erzürnt ich darüber bin, was Ihr Bruder meiner Nichte angetan hat –
so hätte ich nicht sprechen dürfen.« Sie war mehr als beschämt. Sie litt aber auch unter dem Entzug von Wolverhamptons üblicher Liebenswürdigkeit.
Zu ihrer Erleichterung hellte sich seine Miene wieder auf.
»Ihre Reaktion ist nicht ungewöhnlich«, sagte er.
»Die Spionage verlangt eiserne Nerven und eine Reihe von Fähigkeiten, die ein Gentleman eigentlich nicht haben sollte. Und Robin war sehr, sehr gut. Sonst hätte er nicht überlebt. Er wurde auf eine Weise auf die Probe gestellt, die die meisten Männer gebrochen hätte, und auch ihn fast gebrochen hat.«
»Verhalten Sie sich ihm gegenüber deshalb so beschützend?« fragte sie leise.
»Ich würde mich auch sonst nicht anders verhalten. Er ist der einzige Familienangehörige, den ich noch habe, und obwohl er brennend gern unabhängig ist, bleibt er doch mein kleiner Bruder.« Giles seufzte. »Über das Wenige hinaus, was er mir nach seiner Rückkehr nach England anvertraute, weiß ich kaum etwas von den damaligen Vorgängen. Und dafür bin ich dankbar.
Es war weiß Gott schlimm genug, mich immer wieder fragen zu müssen, ob ich ihn je wiedersehen würde oder ob er irgendwann, irgendwo verschwinden würde wie die vielen unbeweinten Toten dieses Krieges.«
Wieder brach der
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