Der Spion und die Lady
Viehtreibern zurückkehren werden.«
Er hob die Brauen. »Da stimme ich Ihnen zu.
Jetzt, da unsere Ausreißer aufmerksam geworden sind, wird es fast unmöglich sein, sie auf den Straßen zu finden. Dafür gibt es zu viele Routen, zu viele Möglichkeiten, sich zu verstecken und zu verkleiden. Vielleicht ist es für Sie an der Zeit, nach London zu fahren und dort auf Ihre Nichte zu warten.«
Sie musterte ihn argwöhnisch. Das Gefühl, in ihm einen Verbündeten zu haben, löste sich sehr schnell in Nichts auf. »Haben Sie vielleicht irgend etwas Bestimmtes im Sinn?«
»Mir ist da so ein Gedanke gekommen.« Er kam ihrer Frage mit einer Handbewegung zuvor.
»Wenn ich richtig vermute, verspreche ich Ihnen, beide Ausreißer zu Ihnen nach London zu bringen.«
»Und wenn sie nicht mitkommen wollen?«
erkundigte sie sich, um seiner Frage auszuweichen, ob sie ihre Suche nun abbrechen würde.
»Ich werde Vernunftsgründe ins Feld führen.
Robin zwingen zu wollen, wäre nicht unbedingt ratsam.«
Sie erinnerte sich an die beiden Männer, die sie gerade gesehen hatte, und mußte ihm zustimmen.
Wolverhampton griff zu seinem Hut, um zu gehen, hielt aber noch einmal inne. »Warum hat man Ihnen den Namen Desdemona gegeben?«
»In unserer Familie ist es Tradition, den Jungen lateinische Namen zu geben und den Mädchen welche aus Shakespeare-Stücken.«
»Ihre Nichte trägt aber einen lateinischen Namen.«
»Es gibt Ausnahmen von der Regel. Mein Bruder Maximus wurde nach Großtante Maxima genannt und gab diesen Namen an seine Tochter weiter.
Tante Maxima ist vor einigen Monaten reif an Jahren und Bosheit gestorben. Sie wird mir fehlen.«
»Meinen Sie Lady Clendennon? Das ist die einzige Maxima, die ich kenne.« Als Desdemona nickte, fügte er hinzu. »Starke Frauen sind eindeutig eine weitere Collins-Tradition. Ich bin immer weniger der Ansicht, daß Ihre Nichte gegen ihren Willen bei Robin geblieben sein könnte.«
»Das bleibt abzuwarten«, entgegnete sie trocken.
Derart an ihre Mission erinnert, griff sie nach ihrem Ridikül und bereitete sich auf den Aufbruch vor.
Der Marquis wollte ihr die Tür öffnen, doch bevor er das tat, blieb er stehen und blickte auf sie herab. Wie gebannt hob er eine Hand und zeichnete mit den Fingerspitzen die Konturen ihrer Schläfen und ihres Ohrs nach, fuhr ihr sanft über die Wange und den Hals. Seine Berührung war sehr leicht. Ganz so, als wollte er sich die Beschaffenheit ihrer Haut mit den Fingerspitzen einprägen. Desdemona verharrte reglos und bemühte sich, ihre Haltung zu wahren. Jede Stelle, die er berührte, löste in ihr Stürme von Empfindungen aus. In ihrer Ehe hatte sie keine Zärtlichkeit erfahren und war nun schockiert, wie empfindsam sie darauf reagierte.
Sie sah Wolverhampton in die Augen und bereute es sofort. Die Wärme, die sie in ihnen sah, war verhängnisvoller als ein körperlicher Schlag. Im nächsten Moment konnte er sich vorbeugen und sie küssen. Und wenn das geschah…
Sie riß sich los und öffnete die Tür selbst. »Ich hoffe sehr, Sie und unsere Ausreißer in London wiederzusehen, Wolverhampton«, sagte sie.
Damit schoß sie davon.
Giles starrte die Tür an, die sie ihm vor der Nase zugeworfen hatte. Warum benahm sich eine kluge welterfahrene Frau so zimperlich wie eine im Kloster erzogene Jungfrau, sobald er Interesse an ihr zeigte? Weil er ihr unsympathisch war, lautete die einfache Erklärung.
Doch er hegte keinerlei Zweifel, daß die einfache Erklärung in diesem Fall nicht zutraf. Es war keine Abneigung gewesen, die er in ihren Augen gesehen hatte, sondern Furcht.
Der Marquis of Wolverhampton hatte sich seinen Ruf als umgänglicher Mann mehr als verdient.
Aber wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hatte, ließ er sich nicht davon abbringen. Jetzt, beim Klang der sich schnell entfernenden Schritte von Lady ROSS, beschloß er, den Grund für ihre Ängste in Erfahrung zu bringen.
Und dann – vielleicht – etwas dagegen zu unternehmen.
Kapitel 15
OBWOHL SICH ROBIN sehr bemühte, es ihr so leicht wie möglich zu machen, mußte Maxie ihn doch zum Kanal fast tragen. Der Weg dorthin schien sich schier endlos hinzuziehen. Und die ganze Zeit befürchtete sie, daß Simmons aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte oder seine Männer zurückkehrten und die Flüchtenden verfolgten.
Ginge es nach ihr, würde sie Simmons bevorzugen, denn der hatte zumindest etwas Menschlichkeit gezeigt, aber seinen Kumpanen traute sie nicht über den Weg.
Maxie
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