Der Spion und die Lady
hoffte, anderen Menschen zu begegnen, aber die Gegend wirkte wie ausgestorben.
Vermutlich saßen alle gerade beim Mittagessen.
Als sie mit Robin eine schattige Gasse zwischen zwei Lagerhäusern betrat, flehte sie um ein Wunder. Viel weiter würden ihre Kräfte kaum reichen.
Wenig später erreichten sie einen
sonnenüberfluteten kleinen Hafen, in dem ein vollbeladener Lastkahn vor Anker lag. An Deck bereiten sich ein Mann und ein Junge auf das Ablegen vor. Der Captain war ein kleiner, stämmiger Mann mit ergrauten Haaren. Er richtete sich auf und blickte den Ankömmlingen neugierig entgegen.
Ein Appell an seine Hilfsbereitschaft schien Maxie das Sinnvollste zu sein. »Bitte, Sir, können Sie uns helfen? Wir wurden überfallen und mein Mann ist verletzt.«
Die verdutzte Miene des Captain erinnerte sie an ihren Aufzug. Schnell riß sie sich mit ihrer freien Hand den Hut von den Haaren. Die Augen des Mannes wurden noch größer.
»Sie wurden am hellen Tag mitten in der Stadt überfallen?« fragte er mit unüberhörbarem Mißtrauen in der Stimme.
Was für eine Geschichte würde einen Kanalschiffer beeindrucken? Im Zweifel bot sich eine Variation der Wahrheit an. »Es handelte sich um meinen Cousin und seine Freunde. Sie wollten verhindern, daß wir nach London gelangen.« Maxie warf einen Blick über die Schulter zurück und brauchte sich nicht zu verstellen, um Furcht zu zeigen. »Können wir vielleicht ein Stück des Weges mit Ihnen kommen? Unterwegs kann ich Ihnen alles ausführlich erzählen, aber jetzt ist keine Zeit. Sie können jeden Moment hier sein.«
Maxie sah den Captain flehend an und bemühte sich nach Kräften, schutzbedürftig auszusehen.
Sie hätte ihre Cousine Portia genauer beobachten sollen, denn die hatte Jahre damit zugebracht, Hilflosigkeit zu kultivieren.
»Wahrscheinlich geht es ihnen nur um eine kostenlose Fahrt, Pa«, mischte sich der sommersprossige Junge ein.
Der Captain musterte Robin, der leicht hin und her schwankte. »Das Blut an seinem Kopf sieht aber sehr echt aus.« Dann rang er sich zu einem Entschluß durch. »Also gut, junge Frau. Ich nehme Euch auf Treu und Glauben ein paar Meilen mit.«
Er kam die paar Schritte auf sie zu, hob Robin hoch und warf ihn sich wie einen Schuljungen über die Schulter. »Kommt an Bord.«
Maxie folgte ihm und übersprang den kurzen Spalt zwischen Kaimauer und Boot. Der Lastkahn war eine recht einfache Konstruktion, mit stumpfem Bug und Heck sowie einem
quadratischen Aufbau in der Deckmitte. Mit Persennig abgedeckte Stapel waren mit Seilen gesichert, und es roch nicht unangenehm nach Wolle. Vermutlich bestand die Ladung aus Teppichen, denn Dafydd Jones hatte ihnen erzählt, daß diese in dieser Gegend hergestellt wurden.
»Vermutlich wollt Ihr lieber außer Sicht sein, falls Euer Cousin hier auftaucht«, sagte der Captain.
»Mach achtern die Luke auf, Jamie.«
Eilfertig lief der Junge nach hinten. Durch die Luke konnte Maxie im Laderaum weitere Teppiche sehen. Nachdem Jamie hinuntergeklettert war und Platz zwischen den Rollen geschaffen hatte, ließ der Captain Robins schlaffen Körper hinuntergleiten. »Sorgt dafür, daß er mir nicht meine Ladung mit Blut befleckt.«
»Ich tue mein Bestes«, versprach Maxie. »Können Sie vielleicht ein paar Stoffetzen entbehren, damit ich ihm das Blut abwaschen und die Wunde verbinden kann?«
Sofort rannte Jamie davon, um ihre Bitte zu erfüllen.
Maxie kletterte durch die Luke, kniete sich neben Robin und untersuchte die Verletzung. Es bildete sich zwar bereits eine Beule, aber Maxie stellte mit Befriedigung fest, daß die Wunde nicht tief war und kaum noch blutete.
Eine Minute später brachte ihr Jamie das Verlangte und Basilikumpuder, zum besseren Heilen der Verletzung. So behutsam wie möglich wusch Maxie das Blut ab und legte einen Verband an. Mit stoischer Gelassenheit ließ Robin alles über sich ergehen, dennoch sah Maxie, daß sich seine Hand auf dem Teppich neben ihm öffnete und schloß.
»Höchste Zeit, daß wir uns auf den Weg machen«, erklärte der Captain, als Maxie Robins Wunde versorgt hatte. »Wir sollten die Luke besser wieder schließen.«
»Wahrscheinlich ist das besser so«, stimmte sie zu. »Mein Cousin könnte uns folgen, falls er annimmt, wir würden auf dem Wasserweg flüchten. Es… es ist eine sehr komplizierte Geschichte.«
Das wettergegerbte Gesicht wirkte ironisch.
»Daran hege ich keinerlei Zweifel.«
Nachdem er die schwere Luke geschlossen hatte, hörte Maxie
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