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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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sein.
    „Morgen, Wagner, schöne Scheiße. Ich glaube es ja nicht. Das darf doch gar nicht sein.“ Das klang nicht nach Trauer. Das war der Tonfall, mit dem der Parteivorsitzende sonst über die Medien oder die Frauenriege um die Quoten-Peters herum lästerte. Albi ging zur Tür und rief: „Stigler! Kaffee und Kekse. Kaffee stark, Kekse braun! Und ein Bier, eiskalt! Bringen Sie zwei Bier!“
    „Vielen Dank, aber ich möchte nicht …“, murmelte Wagner.
    „Wer sagt denn, dass das für Sie ist?“ Und laut ins Vorzimmer: „Irgendwas mit Vitaminen für den Wahlkampfmanager. Sieht blass aus, der Junge.“
    Bis die Getränke kamen, fiel kein Wort mehr. Erst räumte Wagner allein die Kartons an die Wand, dann half ihm Bitter, um anschließend seufzend der Länge nach aufs Sofa zu fallen.
    „Wahlkämpfe machen heutzutage keinen Spaß mehr“, brummelte Albi. „Können nichts ab, die Weicheier von heute.“ Er äffte sie nach: Danke nein, haben Sie alkoholfreies Bier? – Danke nein, ich trinke nicht. – Danke nein, muss noch fahren. – Danke nein, ich nehme Medikamente und trinke nur stilles Wasser. Himmelherrgott, wir mussten früher auch fahren und haben nicht nein gesagt.“
    Schaudernd sah Wagner zu, wie der Chef die erste Flasche Bier leerte. Danach schien sich der Vorsitzende tatsächlich besser zu fühlen. Routiniert spielte er sodann auf der Tastatur der Informationsbeschaffung. Albi führte sieben Telefonate, alle Nummern kannte er auswendig. Und nirgendwo wurde er vertröstet, nicht vom Innenminister, nicht vom Regierungschef und nicht vom Polizeipräsidenten. Wagner war beeindruckt. Vielleicht erreichte man diese Loyalität wirklich nicht mit alkoholfreiem Bier.
    Danach rief Albi die Mitarbeiter der Parteizentrale zusammen und verkündete, was zweifelsfrei feststand. Es war nicht mehr als das, was die beiden Ermittler am Tatort ausgetauscht hatten.
    Betroffene Kommentare machten die Runde. Zwei Frauen weinten – und ein Mann. Es handelte sich um den jüngsten Mitarbeiter der Zentrale, frisch von der Universität engagiert.
    „Männer dürfen das“, behauptete Frau Stigler, trotz des kummervollen Gesichtes wie immer bildschön, als sie die verdutzten Gesichter sah. Sie tätschelte den Heuler und wollte gar nicht mehr damit aufhören.
    „Vielleicht hört er auf, wenn Sie aufhören, Stigler!“ knurrte Albi.
    Schnell konzentrierte sich das Interesse auf einen Punkt: Warum war Uwe Stein gestern nach 22 Uhr an der Eilenriede am Wolfsgraben gewesen? Niemand kannte ein wichtiges Parteimitglied, das im Stadtteil Kleefeld wohnte. Einige hatten dort private Bekannte, sogar Freunde, aber ohne jeden Bezug zur Politik.
    „Kommen wir zum Eingemachten“, sagte Albi. „Wie sieht’s mit einer Angehörigen des weiblichen Geschlechtes aus? Eher jung, eher zugänglich, ohne Anhang?“
    In der Runde entstand Protest. Das könne man doch nicht … Gerade heute …
    Was Steins langjährige Affäre anging, war Wagner als Einziger im Bilde, behielt sein Wissen aber für sich. Die Sache war ausgestanden.
    Albi nannte den Tag der Landtagswahl. Das genügte, um den Protest zu ersticken. Die berufliche Zukunft jedes Einzelnen im Raum hing vom Ausgang der Landtagswahl ab.
    „Ich will nicht in fremde Betten gucken“, stellte Albi klar. „Aber wir stehen ohne Spitzenkandidaten da, das ist das eine. Auch bekannt als Katastrophe. Die Polizei ermittelt, die Medien werden verrücktspielen, in einer halben Stunde werden sie informiert sein. Und keiner von ihnen wird auf Fragen verzichten, nur weil uns diese Fragen nicht in den Kram passen. Mit anderen Worten: Wir müssen wissen, was auf uns zukommen kann, sonst werden wir bis zum Wahlsonntag in der Defensive stecken und können nur noch reagieren. Das ist eine Art der Kommunikation, die ich immer gehasst habe.“
    Er hatte recht, jeder in der Runde begriff das. Aber jeder war auch schockiert. Beide Gefühlslagen zusammen ergaben ein Gemisch, das die meisten Anwesenden überforderte. Sie brauchten Zeit, aber niemand würde ihnen Zeit geben, denn der Wahlkampf musste weitergehen. War das überhaupt möglich, praktisch und moralisch? Wie würden die Bürger darauf reagieren? Oder noch wichtiger: die Medien? Wagner wollte gar nicht darüber nachdenken, er wusste, es würde die Hölle werden.
    Dann meldete er sich doch zu Wort, erwähnte Steins Beziehung zu einer Frau, die er allerdings bereits vor Monaten beendet habe. Danach sei nichts mehr gelaufen, der Wahlkampf forderte den

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