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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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ganzen Mann. Albi nickte verständnisvoll und ließ einfließen, welche Polizeibeamtin mit der Suche nach Steins Mörder federführend beauftragt worden war. Bernd Wagner erinnerte sich: eine attraktive, aber unnahbare Frau um die vierzig, patent, aber unterkühlt und effektiv. Ein Plakat-Gesicht, er stellte sich jedes Gesicht automatisch als Plakat vor. Zu seiner eigenen Überraschung hatte er festgestellt, wie wenige Gesichter sich dafür eigneten, vergrößert dargestellt zu werden. Aber die Hauser hatte was.
    Auch Bernd Wagners frisch gebackene Ehefrau Monika wird etwas haben, wenn der Gatte heute Abend nach Hause kommt: nämlich einen Grund, seine letzte berufliche Entscheidung anzuprangern. Sie war nicht erfreut gewesen, dass er sich neu orientiert hatte. Eine politische Partei hielt sie für einen wankelmütigen Arbeitgeber und heute Abend würde sie ausführlich darüber reden. Sehr ausführlich.
    Und so sagte Wagner: „Wir stehen vor dem Nichts. Es gibt kein Stück Wahlkampf, ob Papier oder Stoff oder Pappe, das nicht auf Stein abgestellt ist. Das Beste wäre, die Wahl zu verschieben. Vielleicht lässt sich die Opposition auf einen Deal ein. Wenn wir genügend Druck aufbauen! Druck mit starker moralischer Komponente! Damit wir Zeit gewinnen, um für den neuen Spitzenkandidaten eine Kampagne zu entwerfen!“
    Die meisten schauten ihn ungläubig an, auch der Landeschef: „Die Wahl verschieben? Blödsinn, Wagner. Die Opposition hat so schlechte Werte wie seit acht Jahren nicht. Es wäre töricht, diese Stimmungslage nicht zu nutzen.“
    „Aber wir haben keinen Spitzenkandidaten!“
    Albi sah das anders. „Das ist kein Nachteil, das ist eine Herausforderung.“
    Mehr als einer in der Runde hielt Albi für den geborenen neuen Spitzenkandidaten. Noch vor einem Jahr hatte er als legitimer Spitzenkandidat für die Landtagswahl gegolten. Ohne den furiosen Aufstieg Uwe Steins wäre alles auf Albi zugelaufen. Jetzt hörte er hingebungsvoll zu, wie sich das Meinungsbild in der Runde zu seinen Gunsten konkretisierte. Am Ende musste er nur noch bescheiden die zuständigen Gremien ins Spiel bringen, die – schnellstmöglich einberufen – nicht übergangen werden dürften, bevor sich die Partei nach dem Schock dieses Tages kraftvoll auf einen neuen Namen einigen würde.
    Albi studierte Wagners Gesichtsausdruck. Dann bekräftigte er: „Natürlich werde ich nicht kneifen und der neue Spitzenkandidat sein. Und wenn es der letzte Dienst ist, den ich der Partei erweise.“
    Wagner war im Umgang mit Spitzenpolitikern erfahren genug, um zu begreifen, wann Schweigen der bessere Teil der Klugheit war. Natürlich gab es wie in jeder Partei den einen oder anderen regionalen Fürsten, der neben dem Telefon schlief, um den Ruf aus der Hauptstadt nicht zu überhören. Aber entweder waren sie zu jung oder breiten Wählerschichten nicht zu vermitteln. Albis Bekanntheitsgrad lag bei 80 Prozent. Sein Name war Programm genug und er führte bereits Wahlkampf. Man musste dem alten Fahrensmann nichts erklären, man musste ihn nur machen lassen.
    Je länger Wagner darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass sich die Wahlchancen der Partei nicht wirklich verschlechtert hatten. Albi sprach andere Wählerschichten an, würde nicht die Traumwerte erreichen, die man Uwe Stein prophezeit hatte. Aber eine Talfahrt war mit ihm ausgeschlossen. Und die Partei würde von dem Schockzustand über Steins gewaltsames Ende profitieren, der Mitleidseffekt war nicht zu unterschätzen. Momentan durfte man nur bis zum Wahlsonntag denken, am Montag danach würde die Partei zu diskutieren beginnen und neue Leute aufbauen. Jetzt fehlte die Zeit dazu.
    Wagner hatte den Wahlkampf für Uwe Stein gern geleitet, Stein ließ sich gut vermarkten. Besser als alle anderen Politiker, die er kannte. Trotz seines attraktiven Äußeren war er keinesfalls nur ein Showmensch. Er war der geborene Politiker, fachlich kompetent, fleißig, ein begnadeter Redner. Erfolgreicher selbst als der noch amtierende Ministerpräsident, dem Wagner menschlich näher stand. Mit Steins Unberechenbarkeit und seinem egozentrischem Gehabe hatte Wagner sich arrangiert. Auch dass Dankbarkeit, Mitgefühl und Anerkennung für Stein Fremdworte gewesen waren und er fuchsteufelswild wurde, wenn etwas nicht nach seiner Mütze lief.
    Albi verkörperte eine andere Philosophie: redselig, jovial, volksnah, mit Ende fünfzig nicht mehr jung, aber erfahren und mit allen Wassern gewaschen. Die

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