Der Spitzenkandidat - Roman
Zusammenarbeit mit ihm war angenehmer, Albi war menschlicher, nicht so erfolgsbesessen wie Stein. Doch auch er hatte dunkle Seiten. Seiten, die kaum jemand kannte, auch Wagner ahnte sie nur. Und doch fragte sich Wagner, ob …
Nein, das konnte nicht sein. Stein ja, der hätte vor nichts zurückgeschreckt, wenn sich ihm jemand in den Weg gestellt hätte. Aber Albi würde nicht so weit gehen. Das war nicht sein Stil. Er gehörte noch zu der Politikergeneration, für die Politik eine Herzensangelegenheit war. Albi war ein Mann mit Ecken und Kanten, der auch mal Fünfe gerade sein ließ. Seine Wähler wohnten in den ländlichen Regionen, die Städter wählten die Partei und nahmen Albi als unvermeidlich hin. Die Einbrüche bei den berufstätigen Frauen würden durch Zuwächse bei den Senioren wettgemacht werden. Einige der Gimmicks für Uwe Stein würden in den Container wandern müssen, mit Albi-Aufdrucken würden sie wie eine Parodie auf den Wahlkampf wirken, vor allem die USB-Sticks.
„Die Betroffenheit und das Mitgefühl bei den Menschen werden sich zu unseren Gunsten auswirken“, hörte er Albi sagen. „Wir erzeugen das Mitleid nicht, aber wir entziehen uns ihm auch nicht. So wie wir uns in den nächsten Tagen Trauer und Fassungslosigkeit nicht versagen werden. Sie wissen, was ich meine.“
Aufgaben wurden verteilt. Wieder allein wollte Albi wissen: „Irgendeine Idee, wer das getan haben könnte, Wagner? Den Golfschläger missbraucht, meine ich.“
„Nicht die leiseste Ahnung. Ich war bei den meisten Terminen in den letzten Wochen dabei, aber er ist niemals bedroht worden. Von einigen Frauen vielleicht, die sich an ihn rangemacht haben, sich wie Kletten an ihn gehängt haben. Aber bestimmt nicht, um ihn zu erschlagen. Stein hat darüber hinweggesehen, er hatte für andere Frauen nichts übrig. Die Geliebte war ein Ausrutscher, die Sache längst vorbei.“
„Hm, ich habe mich manchmal gefragt, ob er für seine eigene Frau was übrighatte. Er hat sie niemals mitgebracht, auch nicht zu Veranstaltungen im kleinen Kreis, hat auch nie über sie gesprochen. Dabei ist sie tüchtig, sie hat mal in meinem Vorzimmer gesessen, ist lange her.“
Dann machte sich Bitter über die zweite Flasche Bier her.
14
Als es klopfte, war Wagner auf die schöne Stigler gefasst. Im Türrahmen stand Ali Hamad, zögernd, fast ängstlich. Er war wie Wagner und Frau Stigler aus der Staatskanzlei in die Partei gewechselt. Für kurze Zeit hatte sich damals im Zuge der Ermittlungen in den Staatskanzleimorden der Verdacht auf Hamads inzwischen verstorbenen Bruder konzentriert, das hatte der ehemalige Hausmeister nicht verwunden, und so hatte er sich erfolgreich als Fahrer in der Parteizentrale beworben. Wagner spürte, wie abwartend der Mann war. Albi tat alles, um ihm die Befangenheit zu nehmen. Er bot ihm einen Platz an, aber Hamad war es gewohnt zu stehen und fühlte sich so offensichtlich am wohlsten. Fahrer saßen entweder am Steuer oder sie standen vor ihren Vorgesetzten, um auf Anweisungen zu warten.
Albi stellte die leer getrunkene Flasche beiseite. „Ich habe Sie zu mir gebeten, um aus berufenem Mund zu hören, was gestern Abend passiert ist. Sie haben Uwe Stein doch gefahren. Wir alle fragen uns, weshalb er noch so spät in der Eilenriede unterwegs war. Mit wem hat er sich dort getroffen?“
Hamad trug die für Cheffahrer übliche Dienstbekleidung, eine dunkelblaue Hose, dazu ein gestreiftes Hemd. Keine Krawatte.
Bitter bekam seine Antwort nicht sofort, denn erst beklagte Hamad das grausame Schicksal des Mannes, dem er vor einigen Monaten zugeteilt worden war. Ja, er hatte Stein gestern gefahren wie seit Beginn des Wahlkampfes fast täglich.
„Morgens habe ich ihn zu Hause abgeholt, wir sind dann tagsüber im Landkreis Peine unterwegs gewesen. Mittags habe ich ihn ins Hotel Maritim gefahren, dort hat er sich mit der Abgeordneten Klaßen getroffen.“ Angeblich hatte Stein daraus auch kein Geheimnis gemacht. „Abends habe ich ihn in den Schweizerhof gefahren, gegen 19 Uhr? Ja, das kommt hin. Er hat mich von dort nach Hause geschickt. Das war angenehm, in der letzten Woche ist es jeden Tag spät geworden. Mitternacht war normal. Und um sieben Uhr morgens musste ich wieder auf der Matte stehen.“
Wagner vergaß seine Müdigkeit und spürte, dass auch Bitter zufrieden war. Der Parteivorsitzende schätzte handfeste Informationen. Er war kein Theoretiker. Ross und Reiter brachten einen wie ihn auf Touren. Marion Klaßen,
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