Der Spitzenkandidat - Roman
Wochenlang hatte sie ihrem Mann Bioxide verabreicht. Der Anwalt sprach von Notwehr und legte ein Fotoalbum vor.
Krause hatte sich die Fotos vorlegen lassen. „Grauenhafte Fotos. Wenn die in die Öffentlichkeit gelangen, gibt es einen Aufschrei. Natürlich distanzieren wir uns von Stein, diesem Schwein. Entsetzen, Menschenwürde, Wolf im Schafspelz. Aber irgendwas bleibt immer hängen.“
„Sehe ich genauso. Unser Image würde ins Bodenlose stürzen, unser Vorsprung wie Schnee in der Sonne dahinschmelzen. Wo befindet sich das Album jetzt?“
Es befand sich im Büro des Innenministers, verschlossen, den Schlüssel hatte er dabei. Der Staatsanwalt, ein Mann, der noch etwas werden wollte, hatte das Album beschlagnahmt und dem Minister unverzüglich ausgehändigt. Unter Umgehung des Dienstweges. Das war gut für seine berufliche Zukunft; angesichts der ernsten Lage mussten die Vorschriften einstweilen zurückstehen. Und Hirschmann hatte auch nichts unternommen, außer den persönlichen Referenten des Innenministers zu informieren.
„Hast du klasse gemacht, Fritz“, lobte Bitter. „Du bist der Innenminister. Du entscheidest, wann ein Fall vorliegt, der unter die Geheimhaltungsstufe fällt.“
„Du hast gut reden, Albi. Die amtliche Geheimhaltung ist an strikte Voraussetzungen gebunden. Kannst du in einer ruhigen Minute in der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages nachlesen. Wenn dich das persönlich betrifft, ist es nicht mehr halb so langweilig. Keine der Voraussetzungen liegt in diesem Fall vor. Mit anderen Worten: Falls das rauskommt, bin ich meinen Job los. Die Opposition wird ein Freudenfest veranstalten.“
Niemand sprach es aus, das war auch nicht nötig. Sie saßen in einem Boot.
Bitter fragte: „Wer genau weiß von der Sache?“
Krause hatte Durst. „Gibt’s hier eigentlich nichts zu trinken?“
Frau Stigler wurde zu einem Einsatz an die Kaffeemaschine geschickt, die beiden Männer zogen Bilanz, Wagner beschränkte sich aufs Zuhören. Mehr erwartete auch niemand von ihm.
Hirschmann, so wusste Krause zu berichten, war einer der Ihren, Sympathisant der Bürgerpartei, der würde nichts sagen, sondern still auf seine Belohnung in Form einer Beförderung oder Höhergruppierung warten. Kenntnis von dem Album hatten die Witwe Stein und ihr Anwalt Janssen. Weiter der Staatsanwalt und neben Hirschmann zwei oder drei weitere Beamte des LKA. Frau Hauser hatte gestern mit der Witwe gesprochen, es wäre naheliegend, wenn sie danach einige Kollegen informiert hätte. Kenntnis hatte auch Professor Zorn. Zwar wusste er nichts von den Prügelattacken, aber von den Bioziden. Würde er Zeitung lesen, könnte er sich einen Reim darauf machen.
Frau Stigler, wie immer bildschön, aber übellaunig, trug das Tablett herein, die Männer unterbrachen ihr Gespräch und blickten unschuldig drein. Daran erkannte sie, dass etwas Wichtiges vorging.
Danach erstellten sie eine Liste aller Eingeweihten. Hinzugefügt wurden die Frauenhausleiterin Sänger und die Fotografin. Viele Namen, das war die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Die meisten waren Landesbeamte. Krause bot an, diese Gruppe zu übernehmen. Er wollte unverzüglich Ritter aufsuchen, ihn und seine Leute zu absolutem Stillschweigen vergattern. „Stufe 2 der Geheimhaltung“ sollte allen die Münder verschließen. Falls lästige Fragen kämen, würde er sich darauf berufen, die Witwe und ihr Kind schützen zu müssen. Und das Amt des Ministerpräsidenten auch.
„Niemand wird reden“, sagte der Innenminister voraus. „Wenn doch, fliegt er. Schwerwiegende Störung des Vertrauensverhältnisses, zwischen Beamten und Dienstherrn gibt es immer noch besondere Spielregeln. Die Beamten wissen das. Wer setzt schon seinen Job wegen so etwas aufs Spiel?“
Bitter sagte: „Und der Staatsanwalt? Der untersteht dir nicht. Und der Justizminister ist bekanntlich ein Oberbürokrat und Paragrafenfresser. Den sollten wir auf keinen Fall in die Sache einweihen.“
„Schön, dass du das genauso siehst“, murmelte der Minister. „Datenschutz zum Frühstück, Bürgerrechte zu Mittag und zum Kaffee singt er das Loblied seiner geliebten nichtstaatlichen Organisationen, allen voran der Menschenrechtsverbände. Er gehört zu der Kategorie Gutmenschen, die einem verdammt auf den Senkel gehen können. Ich hoffe also zuversichtlich, mich nach der Wahl nicht mehr mit diesem Prinzipienreiter von Justizminister herumärgern zu müssen. Liege ich da richtig?“
Bitter
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