Der Spitzenkandidat - Roman
bedankte sich Frau Stein, dass ihr Zeit gegeben wurde, eine Bleibe für ihr Kind zu suchen.
„Wir haben dadurch keinen Nachteil, Frau Stein. Es ist fast acht. Kein Staatsanwalt ist glücklich, wenn er Überstunden schieben muss.“
Als Verena zum Abschied in die Augen der Frau blickte, sprang ihr nackte Angst entgegen. Eine Angst, die mit den bevorstehenden Vernehmungen der Staatsanwaltschaft nichts zu tun hatte, sondern die Art von Angst, die Verena bei Menschen kennengelernt hatte, die um ihr Leben fürchteten. Für einen Moment zögerte sie. Du musst der Frau helfen, war ihr Gedanke. „Wenn Sie mir noch etwas sagen wollen …“
„Nein, will ich nicht.“ Die Antwort kam wie ein Geschoss. Dann schloss sich die Haustür hinter der Kriminalbeamtin.
In ihrer Wohnung angekommen, schaffte Verena es gerade noch bis ins Badezimmer. Ihr war schleierhaft, warum der Durchfall nicht aufhörte, sie hatte seit 24 Stunden nichts gegessen, keinen Bissen. Jeder Gang auf die Toilette wurde zur schmerzhaften Angelegenheit. Die Krankheit laugte sie aus. Verena Hauser war eine gesunde Frau und auch körperlich belastbar. Alles in ihr wehrte sich gegen das Erlebnis völliger Schwäche. Aber sie war hilflos, sie musste durchhalten und Tee trinken. Geduld haben – das war für sie eine schwere Prüfung. Ganz besonders jetzt, wo alle Welt auf einen Ermittlungserfolg wartete.
Über ihr Handy meldete sich eine betriebsame Petra Schramm. Von ihr erfuhr Verena, dass Stollmann erst morgen mit der Abgeordneten Klaßen sprechen würde. Stattdessen habe er eine andere Politikerin getroffen: eine Frau Peters, die Kämpferin der Frauen, von der man wusste, dass sie am Tag des Mordes Stein angerufen hatte. Angeblich sei es um das Ministerium gegangen, das Stein der Peters in Aussicht gestellt habe. Für Frauen und Gleichstellung. Frau Peters, die sich bereits als künftige Ministerin sah, kämpfte gegen eine andere Person, eine Frau namens Wolters, die von Stein angeblich die Zusage erhalten habe, im neuen Ministerium Staatssekretärin zu werden. Darüber wollte die Peters mit Stein sprechen, sie konnte die Wolters genauso wenig leiden wie die Kollegin Klaßen. Aber das sei ja nun alles Schnee von gestern, denn mit Uwe Stein sei auch die hervorragende Idee eines Frauenministeriums gestorben.
Verena zweifelte nicht daran, dass dieses Gespräch für Stollmann eine schwere Prüfung gewesen war.
Sie informierte Petra Schramm über das Gespräch mit der Witwe Stein; die Begegnung mit Hackmann und das merkwürdige Schreiben erwähnte sie nicht. Petra freute sich über den ersten Erfolg, auch wenn noch weitere Erfolge folgen müssten. Sie brannte darauf, Staatsanwalt Engelmann zu informieren. Jetzt wo die Witwe den Giftanschlag gestanden hatte, müsse ein Haftbefehl her. „Nein“, sagte Verena. „Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht sind nicht Ihr Job. Informieren Sie Hirschmann.“
Ihre Mitarbeiterin schnaufte, betonte, dass sie alles im Griff und den vollständigen Überblick habe. Verena blieb eisern und bat darum, jederzeit informiert zu werden. Von Jürgen Ritter gab es kein Lebenszeichen, weder im Büro noch auf Verenas verschiedenen Telefonen. Sie durfte nicht anfangen, auf Anrufe zu warten. Dann würde sie nichts mehr von einer frustrierten Geliebten unterscheiden, deren Lebensinhalt darauf basierte, dass der Mann ihres Herzens fünf Minuten für sie erübrigte. Das warnende Beispiel hatte sie erst gestern vor Augen geführt bekommen.
Die Nacht fing früh an und hörte nicht mehr auf, fast stündlich musste sie die Toilette aufsuchen. In den wenigen Viertelstunden, in denen sie in einen flachen Schlaf fiel, geisterte Jürgens Gesicht durch ihre Träume. Immer wenn sie ihn ansprach, wandte er sich ab.
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Bitter wird Spitzenkandidat der Bürgerpartei
Neue Erkenntnisse über Uwe Stein
Die Bürgerpartei gab gestern bekannt, dass der Parteivorsitzende Alfred Bitter neuer Spitzenkandidat wird. „So groß unser Schmerz um den Verlust unseres Parteifreundes Uwe Stein ist, wir müssen unserer Verantwortung gegenüber den Bürgern in diesem Land gerecht werden“, erklärte Bitter. „Das Land braucht eine stabile Regierung, um die Herausforderungen der Finanzkrise zu meistern. Wir haben zu respektieren, dass der amtierende Ministerpräsident bereits zum Jahresanfang erklärt hat, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Regierung zurückziehen zu wollen. Ich stehe für die anstehenden Aufgaben zur
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