Der Sprung ins Jenseits
wieder voll Sterne, aber es waren fremde Sternbilder. Ich kannte kein einziges davon.
Da wußte ich, daß ich einen Fehler begangen hatte.
Ich sah in alle Richtungen, aber ich konnte keinen einzigen Stern entdecken, der mit Sicherheit die Sonne sein mußte. Nichts hinderte mich daran, nun von Sonne zu Sonne zu eilen, aber die Möglichkeit, dabei durch Zufall Sol zu finden, war gering.
Eine Ewigkeit lang schwebte ich im Nichts. Nur wenige Lichtminuten entfernt flammte eine bläuliche Sonne auf – mein ursprüngliches Ziel. Ich hatte alles Interesse an ihr verloren und überlegte, ob es Yü wohl ähnlich ergangen war. Er wollte zum Rand der Milchstraße, zu den Planeten mit den Seelen. Hatte er sie gefunden?
Jedes Zeitgefühl hatte ich inzwischen verloren. Ich wußte nicht, ob nur Minuten vergingen – oder Jahre. Aber ich verstand plötzlich die unbestreitbare Tatsache, daß es immer mehr Menschen ohne Seele gab. Wieviel Seelen mochte es wie mir ergangen sein? Das plötzliche Bewußtsein uneingeschränkter Freiheit machte sie leichtsinnig – und sie verloren die Erde.
Wie viele Seelen gab es im Universum …?
Die blaue Sonne hatte einige Planeten, aber alle waren ohne Leben. Auf dem vierten, einer öden Welt mit einer brauchbaren Atmosphäre, wiederholte ich Yüs Experiment und erzeugte aus der vorhandenen Energie einen Körper. Sofort setzte das Zeitgefühl wieder ein, als ich in der Form eines kleinen, pelzigen Lebewesens durch die kalte Sandwüste hoppelte. Aber die Einsamkeit war unerträglich. Ich schuf ein zweites Wesen, dem ersten ähnlich, und schwang mich wieder hinauf in den blaugrünen Himmel. Ich wartete, bis die beiden ersten Bewohner des vierten Planeten sich fanden und gemeinsam auf Nahrungssuche gingen, dann peilte ich den erstbesten Stern an und wünschte mir, dort zu sein.
Und in meiner Unvorsichtigkeit beging ich den zweiten Fehler.
Die Transition endete nicht einige Lichtminuten von der Sonne entfernt, sondern mitten im Kern des flammenden Sterns. Meine Existenz wurde dadurch nicht gefährdet, wie Yü immer angenommen hatte, aber der Zufall wollte es, daß diese Sonne gerade in diesem Augenblick aus dem Raum-Zeit-Gefüge sprang und sich aus ihrem Kontinuum löste. Ihre restliche Materie verwandelte sich in Energie, der sie umgebende Raum wurde zu Zeit. Für Bruchteile von Sekunden wurde ich, der ich ja auch nur aus Energie bestand, ein Teil der Sonne, und zusammen mit ihr wurde ich um Jahrmilliarden in die Vergangenheit geschleudert.
Das alles wußte ich natürlich nicht, als es geschah. Ich erfuhr es erst viel später. Ein Beobachter, wenn auch nur ein Lichtjahr entfernt, hätte es ebenfalls nicht bemerken können, denn wenn die Sonne auch in die Vergangenheit stürzte, so blieb sie zugleich auch in der Gegenwart zurück. Sie existierte zugleich in allen Zeiten.
Ich allerdings nicht.
Wenn ich heute zurückblicke, so wird mir alles klar. Die Reinkarnation, die Wiedergeburt, läßt sich durchaus mit jenem Gleichnis vereinbaren, das von einem deutschen Philosophen als ›ewige Wiederkehr‹ bezeichnet wurde. Er nahm an, daß der Mensch stirbt, wieder geboren wird und alles, was er im ersten Leben erlebte, noch einmal erleben wird.
Und so erging es mir jetzt auch. Ich wiederholte meine eigene Existenz noch einmal, aber ich schrieb es jenem Zufall zu, der mich am Ende einer Transition in den Kern der Nova brachte.
Die ehemals gelbliche Sonne war grellweiß geworden. Sie begann sich zusammenzuziehen, nachdem sie ihre Planeten gebildet hatte. Die Fäden zur alten Gegenwart waren gerissen, und aus Energie wurde wieder Materie. In mir aber lebte die alte Gegenwart noch. Ich war zur fernen Zukunft geworden – und ich kannte diese Zukunft. Ich hatte meine Erinnerung nicht verloren. Alles, was geschehen würde, konnte ich voraussagen. War ich nun ein Prophet?
Dieses neue System bot mir keine Entwicklungsmöglichkeit. Ich beschloß, durch das Universum zu eilen und mir eine Welt zu suchen, auf der ich beginnen konnte. Fast hätte ich vergessen, daß auch das Universum, in dem ich nun existierte. Milliarden Jahre älter war als jenes, das ich kurz zuvor verlassen hatte.
Die Sterne standen dichter, denn die Galaxis hatte gerade erst begonnen, sich auszudehnen. Eine Orientierung war unmöglich. Ich mußte alles jenem Zufall überlassen, der kein Zufall, sondern Bestimmung war.
Aber auch das begriff ich erst später – viel später.
Mein Wunsch brachte mich zu einem anderen Stern, aber er
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