Der Stalker
nicht, zu sprechen. Fast.
»Was ist? Was machst du jetzt?«
Stille.
»Julie! Bist du noch da?«
»Ja, ich bin hier.«
Erleichterung durchströmte Suzanne.
»Ich hab das untere Ende der Kiste aufgebrochen. Ich glaube, er hat sie nicht wieder richtig zugemacht, nachdem er uns rausgelassen hat. Es ist ein bisschen … eng, aber wenn ich mich … durchquetsche …
Suzanne lauschte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Red weiter, Julie! Sag mir, was du machst!«
Mehr Knarren und Reißen.
Dann Stille.
»Julie …«
Suzanne hörte ein Seufzen.
»Ich hab’s geschafft.« Julie lachte, als könne sie es nicht fassen. »Suzanne, ich hab’s geschafft!«
»Toll. Mein Gott, Wahnsinn!«
»Jetzt muss ich nur noch …«
Und dann schrie sie. Julie schrie, gellend und lang.
Suzannes Augen waren weit aufgerissen. »Julie …« Sie versuchte den Schrei auszublenden, sich die Ohren mit den Händen zuzuhalten, was aber nicht ging. Sie war gezwungen zuzuhören.
»Nein! Julie!«
Der Schrei erstarb.
Stille.
»Julie … Julie …«
Nichts.
»Julie!«
Keine Antwort.
»Nein … nein!«
Suzanne begann hemmungslos zu schluchzen. Hoffnung. Diese scheißverdammte Hoffnung! Suzanne weinte immer heftiger.
Wusste nicht, ob sie jemals würde aufhören können.
VIERTER TEIL
76 Die Brasserie Gerard war ein französisches Restaurant an der Ecke Lower Baxter Street und Abbeygate Street in Bury St Edmunds. Der Gastraum war hell und luftig und wirkte wie ein Innenhof, wo an einem warmen Frühlings- oder Sommertag ein Mittagessen leicht in einen entspannten Nachmittag mit französischen Horsd’œuvres, guter Gesellschaft und jeder Menge Wein übergehen konnte. Wie sehr Phil sich wünschte, jetzt genau das tun zu können. Er stellte sich vor, dass es Marina ebenso ging.
Sie saßen einander gegenüber, aber es trennte sie mehr als nur ein Restauranttisch. Sie warfen sich nervöse Blicke zu, lächelten verkrampft und wussten nicht, ob sie sich berühren sollten. Zwei Seiltänzer, die mit aller Macht versuchten, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Das ist doch albern, dachte Phil. Ich müsste auf dem Revier sein, am Fall arbeiten, statt hier an meinem häuslichen Frieden herumzudoktern . Dann blickte er zu Marina, sah ihr wunderschönes Gesicht und seine Tochter, die neben ihnen im Kinderwagen schlief. Und wusste wieder, warum er hergekommen war.
»Du siehst gut aus«, meinte er.
»Ungefähr so gut wie du.« Marina gelang ein Lächeln, aber ihr Blick war voller Traurigkeit. »Aber danke, dass du es gesagt hast.«
Sie sieht wirklich gut aus, dachte er. Sie wirkte durch all die Angst und den Kummer zwar angestrengt, aber trotzdem war sie schön. In seinen Augen war sie immer schön.
Marina blickte auf die Speisekarte. Er konnte sehen, wie sie sich um Fassung bemühte. »Ich glaube, das war keine gute Idee. Vielleicht sollten wir es auf später verschieben.«
Phil sah sie unverwandt an. »Marina, wenn wir das jetzt nicht klären, dann wird es vielleicht kein Später geben.«
Sie seufzte und betrachtete die Tischdecke. In diesem Augenblick kam die Kellnerin. Phil wollte sie wegschicken, aber Marina überraschte ihn, indem sie den Wolfsbarsch mit Spinat-Tomaten-Salat bestellte. Hastig überflog er die Karte und bestellte das Erste, was ihm ins Auge sprang. Die Ente. Dazu eine große Flasche Wasser für sie beide. Die Kellnerin entfernte sich und überließ sie ihrem Schweigen.
Phil wartete.
»Da steht die ganze Zeit etwas zwischen uns«, begann Marina schließlich. »Oder besser gesagt jemand.«
Phil zwang sich weiterzuatmen. Wappnete sich. Auf der Fahrt hatte er sich unterschiedliche Szenarien ausgemalt, war im Kopf all die schrecklichen Dinge durchgegangen, die Marina ihm sagen könnte, in der Hoffnung, so besser darauf vorbereitet zu sein. Dass sie sich in jemand anderen verliebt haben könnte, war die schlimmste aller Möglichkeiten gewesen. Und keine noch so gründliche Vorbereitung würde es ihm leichter machen, diese Worte zu hören.
Also nickte er bloß und wartete. Nickte immer weiter.
Die Kellnerin kam mit dem Wasser. Die Flasche stand unberührt zwischen ihnen auf dem Tisch.
Marina sah wieder auf die Tischdecke. »Es ist wegen Tony.«
Tony. Marinas Exfreund. Der von einem brutalen Mörder, dem Phil und Marina auf der Spur waren, fast totgeschlagen worden war. Unmittelbar bevor Marina ihm hatte sagen wollen, dass sie sich von ihm trennen würde.
Das war es also.
Phil blinzelte. »Tony.«
»Ja,
Weitere Kostenlose Bücher