Der Stalker
passiert wäre, dann wäre Tony jetzt noch am Leben.«
»Und du wärst trotzdem unglücklich.« Erneut griff er nach ihren Händen, und diesmal ließ er nicht zu, dass sie sie ihm entzog. »Ich kann dich gut verstehen, Marina. Und das ist keine Anmaßung. Ich verstehe dich, weil du mich verstehst. Besser als jeder andere Mensch auf der Welt. Ich weiß, was in deinem Kopf vorgeht, weil es darin genauso aussieht wie in meinem eigenen. Ich weiß, was darin vorgeht. Ich kenne die Wunden.«
Sie zuckte bei seinen Worten zusammen, unterbrach ihn aber nicht.
»Und diese Wunden hindern dich daran zu sehen, dass du selbst etwas wert bist. Dass du das Recht hast, glücklich zu sein. Aber das Recht hast du, glaub mir.« Er drückte ihre Hände fester. Sie ließ es zu. »Das hier ist vielleicht die einzige Chance, die wir bekommen. Wir müssen sie nutzen.«
Sie sah ihm ins Gesicht. Ihre Augen waren trocken, und sie lauschte auf jedes seiner Worte.
»Was hast du irgendwann mal zu mir gesagt?«, fuhr er fort. »Alle Psychologen sind bloß auf der Suche nach Heimat? Und das ist es, was ich dir anbiete, Marina: eine Heimat. Es wird vielleicht nicht einfach, wir werden immer wieder vor schweren Entscheidungen stehen, aber es ist etwas Echtes. Etwas Wahres. Ich bin hier.« Er lehnte sich zurück, hielt ihre Hände aber weiter fest. »Willst du das annehmen?«
Marina sagte nichts, sondern sah ihn nur an.
»Sag nein, und ich gehe«, fuhr er fort. »Für immer. Ich lasse dich und unsere Tochter in Ruhe. Es wird mich umbringen, aber wenn es das ist, was du willst, dann werde ich es tun. Aber wenn du ja sagst, dann fahren wir zusammen nach Hause, heute noch, jetzt gleich. Und stellen uns gemeinsam unseren Problemen. Es liegt bei dir.«
Er ließ ihre Hände los. Wartete.
Er hatte gar nicht vorgehabt, so lange zu reden. Oder auch nur halb so lange. Gewiss war er kein Mensch, dem solche Worte, wie er sie gesagt hatte, normalerweise über die Lippen gekommen wären. Aber er hatte noch nie jemanden wie Marina in seinem Leben gehabt. Sie war einzigartig. Er musste um sie kämpfen.
Sie sagte nichts. Er fragte sich, ob er vielleicht zu weit gegangen war.
Und wartete weiter.
Das Essen kam. Die Teller wurden vor ihnen hingestellt, ohne dass sie sie beachtet oder auch nur Notiz von der Kellnerin genommen hätten.
Phil wartete. Glaubte zu spüren, wie sein Herz brach.
Irgendwann sprach Marina. »Ja«, sagte sie, und ihre Stimme war leise, aber fest. »Ja, ich komme mit dir nach Hause.«
Phil griff über den Tisch, nahm ihre Hände und drückte einen Kuss darauf. Er war seit Ewigkeiten nicht so glücklich gewesen.
Er atmete tief ein. Das Essen roch köstlich.
»Habe ich vielleicht einen Hunger«, meinte er und lächelte.
Marina erwiderte sein Lächeln. Sie sah genauso glücklich aus wie er.
77 Draußen vor dem Restaurant schaltete Phil sein Handy wieder ein. Und sein Glücksgefühl löste sich in Luft auf.
Seine Mailbox quoll über vor Nachrichten. Er hörte sie eine nach der anderen ab. Irgendwann hielt Marina, die mit Josephina beschäftigt war, inne und sah ihn fragend an. Bemerkte sein ernstes Gesicht und war sofort in Sorge. Nach einer Ewigkeit ließ er das Telefon sinken.
Marina wartete.
Er sah sie an. »Das darf doch alles nicht wahr sein …«
»Was ist?«
»Ich muss los. Jetzt sofort.«
»Soll ich mitkommen?«
Phil sah zwischen dem Baby und Marina hin und her. »Geht das denn?«
Sie nickte. Phil sah den Ausdruck in ihren Augen, ein flüchtiges Aufblitzen nur, aber unverkennbar. Sie wollte dabei sein.
»Ich erkläre dir alles unterwegs.«
Sie eilten zum Wagen.
Das Haus an der Greenstead Road war zum Tatort geworden.
Die Straße war vollständig abgesperrt, vom Supermarkt an einem Ende bis hin zum Kreisverkehr an der Einmündung zur Harwich Road und dem Eisenbahnübergang an der East Street. Gelbes Band flatterte in der warmen Brise und machte ein leise knatterndes Geräusch, das in jedem anderen Zusammenhang entspannend und sommerlich gewirkt hätte.
Phil hielt seinen Ausweis hoch, als er sich unter der Absperrung durchduckte, während sofort Uniformierte nachrückten, um die Kameraleute zurückzudrängen, die sich an seine Fersen geheftet hatten. Er hatte den Arm schützend um Marinas Schultern gelegt, während sie gemeinsam vom Eisenbahnübergang zum Haus gingen.
Sie hatten von unterwegs aus bei Don und Eileen angerufen und sie gefragt, ob sie nicht Lust hätten, ein bisschen Zeit mit ihrer Enkeltochter zu
Weitere Kostenlose Bücher