Der Stalker
tat, als lese er aufmerksam.
Irgendwann wurde Turners Neugier zu groß. Ganz langsam beugte er sich vor und versuchte, möglichst unauffällig einen Blick auf den Inhalt der Akte zu werfen. Genau in diesem Moment schloss Mickey sie mit einem Knall und schaute hoch.
»Also, in einem Zweikampf – wer würde gewinnen?«
Die Frage kam aus heiterem Himmel. Turner blinzelte ihn irritiert an.
»Dracula oder Frankenstein, was meinen Sie?«
Turners Augen wurden groß, und sein Mund stand offen. Das schien nicht der Einstieg zu sein, mit dem er gerechnet hatte.
»Äh …« Turner wollte schon antworten, doch dann hielt er inne, und ein selbstgefälliges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Sie meinen nicht Frankenstein, sondern Frankensteins Monster. Frankenstein hieß der Typ, der ihn geschaffen hat.« Er lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Sie haben überhaupt keine Ahnung.«
»Sag ich doch«, meinte Mickey, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wer würde einen Zweikampf gewinnen, Dracula oder Frankenstein? Nicht das Monster – der Baron. In der Peter-Cushing-Version. Gegen Christopher Lee als Dracula.«
Erneut wurden Turners Augen groß. »Okay …« Er dachte nach, jedoch nur kurz. »Dracula, ist doch logisch.«
»Sicher? Ich meine – klar«, antwortete Mickey, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, als wären sie zwei Freunde, die sich im Pub unterhielten. »Was die reine Körperkraft angeht, geschenkt. Aber der Baron …« Mickey wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht. Ich wette, der hätte so einige schmutzige Tricks auf Lager. Außerdem könnte er alle möglichen Apparate und Vorrichtungen bauen. Ich glaube, dass er gewinnen würde.«
Turner beugte sich nun ebenfalls über den Tisch. »Nein, auf jeden Fall Dracula. Denken Sie daran, wie alt er ist. Da lernt man das eine oder andere.«
»Schon klar. Aber mehr als ein paar Knoblauchzehen sind nicht nötig, ein bisschen Sonnenlicht, ein Kruzifix …« Mickey zuckte mit den Schultern. »Glauben Sie nicht, der Baron würde das ausnutzen? Ihm ein paar Fallen stellen?«
Turner nickte nachdenklich.
»Ist ja auch egal«, meinte Mickey. »Ich dachte nur, ich frage Sie mal, weil ich gehört habe, dass Sie Horrorfilm-Fan sind. Die alten Sachen. Die richtig guten Filme von früher. Stimmt das?«
»Ja.« Turner sah ihn ungläubig an. »Wieso? Stehen Sie auch auf so was?«
»Total. Siebziger und so. Die alten britischen Produktionen. Das waren noch Filme. Könnte mich den ganzen Tag über nichts anderes unterhalten. Aber …« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Nützt ja nichts. Also.« Erneut schlug er die Akte auf. Warf einen Blick hinein. Klappte sie wieder zu. Sah Turner forschend an. »Warum sind Sie eigentlich vorhin weggerannt, Mark?« Sein Tonfall hatte sich kein bisschen geändert.
Turner sah ihn an. Er schien sich um eine ehrliche Antwort zu bemühen. »Ich … na ja …«
Mickey wartete und versuchte festzustellen, in welche Richtung Turners Pupillen gingen. Marina hatte ihm erklärt, wie er ins Verhör einsteigen sollte. Er sollte versuchen, Turner auf seine Seite zu ziehen. Ihm ein paar unverfängliche Fragen stellen und beobachten, wohin sein Blick wanderte. Links oben bedeutete, dass er sich erinnerte und die Wahrheit sagte, rechts unten bedeutete, dass er sich etwas ausdachte und log. Oder umgekehrt? Was hatte sie noch gleich gesagt?
Mickey kratzte sich mit dem Mittelfinger der rechten Hand den linken Handrücken.
»Links oben für Wahrheit, rechts unten für Lüge.« Marina hatte sein Signal gesehen und half ihm auf die Sprünge.
Zum Dank nickte er unmerklich.
In der Zwischenzeit hatte Turner sich besonnen. Er blockte die Frage mit einem Achselzucken ab. »So halt«, sagte er. »Ich wusste ja nicht, wer Sie sind und was Sie von mir wollen. Sie würden auch abhauen, wenn Sie merken, dass jemand Sie verfolgt.«
Mickey nickte. »Wo ist eigentlich Ihre Freundin, Mark? Ist die auch abgehauen?«
Wieder zuckte Turner die Achseln.
»Hatte sie nicht den gleichen Filmgeschmack wie Sie? Hat sich wohl unter einem schönen Abend zu zweit was anderes vorgestellt, als auf dem Sofa zu hocken und Killer’s Moon anzuschauen?«
Turner setzte sich kerzengerade auf. »Sie kennen Killer’s Moon ?«
»Ein Superfilm«, sagte Mickey. »Aber strenggenommen kein klassischer Horrorfilm. Eher eine Horrorkomödie, würde ich sagen.«
Er hörte Marina in seinem Ohr leise lachen. »Der gute alte
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