Der Stalker
Rest Ihres Lebens hinter Gittern verbringen!«
»Na und?«
»Was haben Sie dann noch von Ihrem Doktortitel?«
Sie schüttelte langsam den Kopf und lächelte mitleidig, als würde sie einem begriffsstutzigen Kind einen ganz einfachen Sachverhalt erklären. »Ein Doktortitel ist ein Doktortitel, ob nun im Gefängnis oder anderswo.« Ihre Augen blitzten in der Dunkelheit wie Rasierklingen, auf die ein Lichtstrahl trifft. »Und denken Sie nur … ich werde berühmt sein!«
Phil war fassungslos. »Berühmt.«
»Ja. Berühmt.« Sie wandte den Blick ab, als sinne sie über etwas nach. »Nein, nicht nur berühmt. Berüchtigt. Nein, das trifft es auch nicht ganz. Man wird mich … vergöttern.« Sie nickte. »Ja, das ist das richtige Wort. Vergöttern. Ich werde Briefe bekommen, alle werden mich besuchen wollen. Man wird Bücher über mich schreiben. Ernstzunehmende Fachliteratur, nicht bloß irgendwelchen reißerischen Schund. Die Leute werden mir nacheifern. Ich werde Jünger haben.« Sie drehte sich zurück zu Phil. »Wissen Sie eigentlich, dass Charles Manson selbst nie jemanden umgebracht hat? Das haben immer andere für ihn erledigt. Und trotzdem sitzt er im Gefängnis. Aber er ist bloß ein stinkender, vernebelter alter Hippie. Ein Nichts im Vergleich zu mir …«
Das war der Augenblick, in dem Phil klar wurde, dass sie völlig wahnsinnig war. Bislang hatte er es nur geahnt, aber jetzt hatte sie es bewiesen. Und zugleich mit dieser Erkenntnis kam ihm noch ein anderer Gedanke.
Vielleicht komme ich hier nicht lebend raus.
Bis zu diesem Moment hatte er geglaubt, dass es eine reelle Chance gab. Dass sie mit sich reden lassen würde oder er sie zumindest so lange hinhalten könnte, bis das bewaffnete Sonderkommando kam und dieser Farce ein Ende setzte. Sie hatte ja sogar selbst eingeräumt, dass sie damit rechnete, gefasst zu werden. Aber sie war vollkommen unzurechnungsfähig. Es war unmöglich vorherzusehen, was sie als Nächstes tun würde. Plante sie noch einen letzten Coup? Einen letzten Akt des Irrsinns?
Marina tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Zusammen mit Josephina. Hatte er sie nur nach Hause geholt, um jetzt für immer von ihnen getrennt zu werden?
100 Suzanne war bei Bewusstsein. Und sie hörte jedes Wort.
Sie lag mit angezogenen Beinen auf der Galerie und rührte sich nicht. Wagte kaum zu atmen. Das Stillhalten hatte sie in der Kiste gelernt. Ihre Lider waren halb geöffnet, und ihr Blick wanderte zwischen Detective Phil Brennan und der Verrückten, die ihn überwältigt hatte, hin und her. Sie kannte die Frau aus dem Krankenhaus. Fiona Soundso. Psychologin. Sie steckte also hinter allem. Warum? Sie hatten nie mehr als zwei Worte miteinander gewechselt.
Aber es war die Gestalt hinter der Frau, die Suzannes Blick immer wieder anzog. Ein lauernder Schatten, stumm bis auf seinen rasselnden Atem. Er hob sich kaum von der Dunkelheit ab, doch als er von einem Fuß auf den anderen trat, erkannte sie ihn.
Sein Gesicht war die Ausgeburt eines Alptraums.
Sie bemühte sich, nicht hinzusehen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – sie hatte gesehen, was die Verrückte mit Brennans Gesicht gemacht hatte –, aber sie konnte den Blick nicht von dem Mann im Schatten abwenden. Creeper hatte die Wahnsinnige ihn genannt. Das passte. Wenn man bedachte, was er ihr angetan hatte. In ihrer eigenen Wohnung.
Ihrem eigenen Schlafzimmer.
Sie hatte das Gespräch verfolgt, aber nicht alles genau verstanden. Die Wahnsinnige hatte dem Creeper eingeredet, dass sie – Suzanne – der Geist einer Toten war? Und deswegen hatte er ihr nachgestellt? Wenn jemand anders ihr so eine Geschichte aufgetischt und auch noch behauptet hätte, dass sie ihm selbst widerfahren war, hätte sie ihn ausgelacht. Ihm gesagt, dass sie noch nie in ihrem ganzen Leben etwas so Hanebüchenes gehört hätte. Aber es war nicht jemand anderem passiert, sondern ihr. Es war die schrecklichste Erfahrung, die man sich vorstellen konnte.
Und es war noch nicht vorbei. Noch war sie nicht frei.
Erneut sah sie sich unauffällig um. Phil Brennan und die Wahnsinnige waren nur wenige Schritte entfernt, und hinter ihnen lauerte der Creeper. Dort gab es also kein Entkommen. Sie drehte den Kopf zur Seite, ganz langsam, als wäre es eine unwillkürliche Bewegung, und spähte in die andere Richtung.
Nichts als Dunkelheit.
Sie blinzelte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie weiter hinten eine Treppe ausmachen konnte, die von der Galerie nach unten
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