Der Stalker
Lächeln bemüht. »Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.«
»Ach, wirklich.« Anni zog eine Augenbraue hoch. »Sie meinen, weil ich schwarz bin?«
Er nickte. Dann begriff er, wie Anni das auffassen musste, und ruderte zurück. »Was? Nein, nein, so war es nicht gemeint, ich meinte nicht … damit hat es nichts zu tun. Es ist bloß … am Telefon habe ich einen ganz anderen Eindruck von Ihnen bekommen.«
»Was denn für einen?«
Er versuchte sich an einem Lächeln. »Sie haben wie eine Polizistin geklungen. Jetzt, wo ich Sie vor mir sehe, muss ich sagen, Sie könnten glatt als eine meiner Studentinnen durchgehen. Das ist alles.«
Anni dachte an das, was Suzanne Perry widerfahren war, und war heilfroh, nicht eine seiner Studentinnen zu sein. Sie lächelte höflich.
Howe erwiderte es.
Er gibt sich Mühe, dachte sie. Freundlich zu sein . Entspannt. Aber er hat mir keinen Tee angeboten.
»Nettes Bild übrigens.«
Howes Lächeln wurde eine Spur echter. »Danke. Ich mag es. Mal was anderes. Allerdings habe ich mich schon so daran gewöhnt, dass es mir gar nicht mehr auffällt, bis mich wieder jemand darauf anspricht.«
»War sicher nicht billig.«
Ein kleines Lachen. »Ich hatte eine Bekannte, eine aufstrebende Künstlerin. Sie hat damals Modelle gesucht. Es hat mich nicht einen Penny gekostet.« Er konnte den Stolz in seiner Stimme nicht verbergen. »Aber, na ja …« Er machte eine Handbewegung, als wolle er die Sache wegwischen. »Das ist alles lange her.«
Anni sah weiter die Wand an. Als Nächstes zeigte sie auf Superman. »Und was ist mit dem da?«
»Ah. Der.« Wieder lächelte Howe, und dieses Mal sah er aus wie ein Professor, der vor einem Seminar steht. »Was denken Sie, wie klingt er?«
»Wie bitte?«
»Superman. Seine Stimme, wie klingt die? Zaghaft? Schüchtern? Stottert er?«
»Wohl kaum«, sagte Anni, die nicht wusste, worauf er hinauswollte. »Ich würde sagen, er klingt … respekteinflößend. Kraftvoll. So in der Art. Amerikanisch eben.«
Er nickte. »Und Clark Kent?«
»Was?«
»Sein Alter Ego, Clark Kent? Wie klingt der?«
»Äh …« Daran hatte Anni, wenn sie ehrlich war, noch nie einen Gedanken verschwendet. »Weiß nicht – ganz normal?«
Anthony Howe nickte, als hätte sie mit ihrer Antwort eine These bestätigt, die er persönlich aufgestellt hatte. »Exakt. Wenn er wie Superman spräche, würde er nie dazugehören. Nicht beim Daily Planet . Nicht der tollpatschige, sanftmütige Clark Kent, habe ich recht?«
»Ja.«
Anthony Howe lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. These bewiesen. »Was heißt das? Wir verändern uns. Wir haben nicht nur die eine Stimme, sondern mehrere. Je nachdem, wo wir sind, mit wem wir zu tun haben, wie wir wahrgenommen werden wollen. Verschiedene Stimmen für verschiedene Situationen. Wenn man als Logopäde arbeitet, muss man die Stimme – die Persona – finden, die der Patient am häufigsten braucht.«
Sie konnte nicht widerstehen. Mit seiner herablassenden Erklärung hatte er ihre nächste Frage geradezu herausgefordert.
»Und welche Persona haben Sie bei Suzanne Perry zur Anwendung gebracht?«
Seine Miene – sein ganzes Verhalten – veränderte sich schlagartig. Sein Mund verzog sich. Er kniff seine Augen zusammen, und in ihnen flackerte ein düsteres, hässliches Licht auf. Er beugte sich ihr über den Schreibtisch entgegen.
In diesem Moment war sich Anni nicht mehr so sicher, ob sie wirklich glauben sollte, dass Suzanne sich damals alles nur ausgedacht hatte.
18 Die Todesnachricht. Nichts kostete Phil mehr Überwindung.
Er musste dabei jedes Mal an seine Eltern denken, an Don und Eileen. Wie es wäre, wenn einer seiner Kollegen vor ihrer Haustür stünde, um ihnen eine solche Nachricht zu überbringen. Und jetzt waren da natürlich auch noch Marina und ihre gemeinsame Tochter, Josephina.
Als sie geboren wurde, war alles anders geworden. Er war bei der Geburt dabei gewesen, hatte Marinas Hand gehalten, während sie unter Schreien das Kind herausgepresst hatte. Danach hatte er versucht, mit dem Gefühlschaos klarzukommen, das in ihm tobte. Es war eine zutiefst zweischneidige Erfahrung. Einerseits war da sein Kind, seine eigene Tochter, ganz neu in der Welt. Das war wunderbar, ja, aber gleichzeitig auch ungeheuer beängstigend. Ein neues, eigenständiges Leben. Enorme Verantwortung. Und dann war da Marina, die wie von Sinnen schrie, weil es ihren Körper vor Schmerzen zerriss. Und das Blut … er
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