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Der Stalker

Der Stalker

Titel: Der Stalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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mehr Ähnlichkeit mit einer Abstellkammer oder einem Korridor ins Nirgendwo hatte als mit einem Büro, sofort ins Auge. Die Wände waren mit Regalen gesäumt, die vor Büchern schier überquollen: Fachliteratur und Belletristik, Altes und Neues, in keiner erkennbaren Ordnung. Zwischen ihren Rücken steckten Zeitschriften, Mappen, Zettel. Für Krimskrams blieb nur wenig Platz. Vermutlich verband sich mit jedem Stück eine Geschichte oder besondere Anekdote, die aber im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten war, so dass die Gegenstände inzwischen zu nichts weiter gut waren, als Staub anzusetzen. Den Regalen gegenüber stand ein Schreibtisch, der den Raum dominierte. Ein Computer stand darauf inmitten einer Miniskyline aus Bücherstapeln. An der Wand hingen um das Gemälde herum ein Stundenplan, ein Kalender, einige Postkarten und ein paar vergilbte Comicstrips, die aus Zeitungen ausgerissen worden waren. Aber es war das Gemälde, das den Blick auf sich zog. Anni war sich sicher, dass es so gewollt war.
    Es steckte in einem üppigen, aber alten und angeschlagenen Goldrahmen und zeigte einen attraktiven jungen Mann, der mit hocherhobenem Kopf und vorgerecktem Kinn in einer marmornen Halle stand. Seine Hände hatten das Revers seiner Jacke gefasst, und auf den ersten Blick schien er mit einer Miene kühlen Hochmuts auf den Betrachter herabzuschauen, die an Verachtung grenzte. Doch bei näherer Betrachtung offenbarte sich die Kunstfertigkeit des Malers. Die Arroganz in der Miene des Mannes endete bei den Augen. In ihnen blitzten Belustigung und ein Anflug von Spott, als wolle er zu verstehen geben, dass das alles nur eine alberne Pose war und er jeden Augenblick in Gelächter ausbrechen würde.
    Neben dem Gemälde hing ein kleineres Bild von Superman, der mit aufgepumpten Muskeln und in einer knappen Unterhose hoch über der Erde dahinflog. Hinter ihm wehte die amerikanische Flagge.
    Annis erster Gedanke war: Der Mann hat ein ernsthaftes Egoproblem .
    Sie saß zwischen Schreibtisch und Tür auf einem uralten Holzstuhl, dessen Polster blankgesessen war und der besser vor den Kamin eines alten Pubs gepasst hätte als in das Büro eines Universitätsprofessors mit seiner Sechzigerjahre-Funktionalität, seinen Gipskartonwänden und gusseisernen Fenstergittern.
    Anni gegenüber, hinter seinem mit Büchern übersäten Schreibtisch verschanzt, saß leibhaftig der Mann vom Gemälde, und ein Supermann war er definitiv nicht. Seine Erscheinung machte noch mehr als der abgestoßene, verstaubte Rahmen und die verblassten Ölfarben deutlich, vor wie langer Zeit das Bild gemalt worden war. Er war immer noch groß, aber das schwarze Haar war fast vollständig ergraut und wurde oberhalb der Schläfen langsam dünn. Der hochmütige Gesichtsausdruck hatte sich dauerhaft in seine Züge eingegraben, wie eine Maske, die jemand so lange getragen hatte, bis sie schließlich zu seinem wahren Gesicht geworden war. Aber es waren die Augen, die sich am meisten verändert hatten. Von dem spöttischen Funkeln war nichts übrig geblieben, jetzt lag in ihnen nur noch tiefe Müdigkeit. Zu der sich, sobald Anni sich vorgestellt hatte, ein unverhohlener Argwohn gesellte.
    »Sie können von Glück reden, dass Sie mich überhaupt noch erwischt haben«, sagte er. »Ich wollte gerade nach Hause gehen.«
    Sie lächelte. »Verstehe. Professor –«
    »Einfach Anthony, bitte«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln, wenngleich etwas zurückhaltender. »Keine Förmlichkeiten.«
    »Wie Sie möchten.«
    Es war nicht schwer gewesen, Professor Anthony Howe ausfindig zu machen. Ein Anruf bei seiner Fakultät, und schon wusste sie, dass er noch in seinem Büro saß. Seine Lehrveranstaltungen seien für heute zu Ende und er wolle noch einige Klausuren korrigieren. Er sei noch ein paar Stunden im Büro, falls sie vorbeikommen wolle. Worum es denn gehe? Kaum war der Name Suzanne Perry gefallen, gab er vor, schnellstens nach Hause zu müssen. Als sie ihm anbot, sich bei ihm zu Hause mit ihm zu treffen, hatte er etwas von einem unaufschiebbaren Termin gestammelt. Kein Problem, dann würde sie eben am nächsten Morgen vorbeikommen. Aber kommen würde sie. Es sei wichtig.
    Er hatte seufzend eingelenkt, da ihm klargeworden war, dass sie sich nicht würde abwimmeln lassen. Unter den Umständen, hatte er gemeint, sei es wohl das Beste, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
    Und hier war sie nun.
    »Ich muss schon sagen«, meinte er, nach wie vor um ein

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