Der Stalker
»Zufall?«
»Zufälle gibt es nicht«, sagte sie. »Nicht in Fällen wie diesem.«
Phil musterte seine neue Teamkollegin. Er sah nichts als Bedauern und Sorge in ihren Augen. Und den unbedingten Willen, Antworten zu finden. Gut, dachte Phil. Genauso soll es sein . Dann ging sein Blick wieder aus dem Fenster.
Das weiße Zelt stand, die Straße war vorläufig abgesperrt worden. Hinter der Absperrung hatte sich eine kleine Gruppe von Zeitungsreportern, Fotografen und Fernsehteams versammelt, denen Chief Inspector Ben Fenwick Rede und Antwort stand. Beziehungsweise eine Auswahl seiner schönsten Sprüche zuteilwerden ließ.
»Da steht er also«, meinte er. »Fürst Floskel reitet wieder.«
Auch ohne sie anzusehen, spürte er ganz deutlich, wie Rose neben ihm vor Entrüstung ganz starr wurde. Er hatte die Bemerkung absichtlich gemacht, um zu testen, wie sie reagieren würde. Jetzt war es endgültig klar: Sie schlief mit seinem Boss. Und trug ihm zweifellos jedes einzelne Wort zu, das über Phils Lippen kam. Er musste auf der Hut sein. Am besten nur noch Dinge sagen, von denen er wollte, dass sie Fenwick zu Ohren kamen.
Er seufzte. »Ich glaube, es wird Zeit, den Eltern einen Besuch abzustatten.«
»Wir wissen doch noch gar nicht mit Sicherheit, dass sie es ist. Sollten wir nicht lieber noch warten?«
Phil deutete auf die Journalisten unter ihnen. »Damit einer von denen uns zuvorkommt? Nein, ich denke, wir sollten wenigstens mit ihnen reden.«
Rose nickte.
Doch statt zu gehen, standen sie noch eine Weile am Fenster. Das stille Zimmer hinter ihnen fühlte sich an wie ein Grab.
16 Es klingelte wieder.
Suzanne rührte sich nicht vom Fleck, sondern blieb zusammengesunken an der Wohnungstür sitzen.
War er das? War er zurückgekommen? Hatte er sich draußen versteckt gehalten und darauf gewartet, bis die Polizei weg war? Hatte er gesehen, dass sie allein war? War er es?
Es klingelte noch einmal.
Suzanne starrte die Wohnungstür an, die Kette, den Riegel. Hoffentlich waren sie stabil genug. Sie streckte die Hand aus, um zu öffnen, zog sie dann aber wieder zurück. Starrte weiter die Tür an.
»Lass mich in Ruhe … lass mich doch einfach in Ruhe !«
Die zornige Entschlossenheit von vorhin war verflogen. Panik stieg wieder bedrohlich in ihr auf. Ihr Herz begann zu stampfen wie die Zylinder eines Sportwagens und jagte das Blut durch ihren Körper. Sie streckte die Hand aus.
Ihre Wohnung im dritten Stock des alten edwardianischen Hauses verfügte weder über einen Summer noch über eine Gegensprechanlage. Wenn jemand an der Haustür klingelte, musste sie hinunterlaufen und ihn hereinlassen.
Nein. Die Tür aufzumachen war eine Sache. Aber ganz allein die Treppe hinunterzulaufen? Sie blieb, wo sie war. Wartete.
Es blieb ruhig.
Er war weg. Er hatte sie in Ruhe gelassen. Suzanne stieß einen Seufzer aus.
Da meldete sich ihr Telefon.
Wieder fuhr sie vor Schreck zusammen. Sah sich panisch um. Das Telefon lag auf dem Boden, klingelte und blinkte.
»Nein … jetzt verpiss dich doch einfach …«
Das Klingeln ging weiter. Noch immer rührte sie sich nicht von der Stelle. Sie kniff die Augen zusammen. Sei endlich still! Sie wollte woanders sein, irgendwo anders, ganz egal, wo.
Es hörte nicht auf zu klingeln.
Bis der Anrufbeantworter ansprang und sie ihre Stimme hörte, die den Anrufer bat, eine Nachricht zu hinterlassen. Dann der Piepton.
Dann: »Hey, Suzanne, ich bin’s. Ich steh gerade unten vor deiner Haustür und –«
Zoe. Ihre beste Freundin. Suzanne kam auf die Füße, schaffte es bis ins Wohnzimmer und schnappte sich das Telefon.
»Zoe?«, fragte sie atemlos, als hätten die letzten paar Minuten ihr mehr abverlangt als eine Stunde Leistungssport.
»Geht es dir gut? Was ist los?«
»Ich … ich …« Suzanne schnappte nach Luft.
Zoes Stimme war voller Sorge. »Was ist denn passiert?«
»Es geht wieder los, Zoe. Es geht wieder los …«
Suzanne starrte in ihren Kaffeebecher. Es war einer ihrer Lieblingsbecher, mit einem indischen Muster in verschiedenen Türkistönen. Sie hatte ihn bei The Pier gekauft, bevor der Laden eingegangen war.
Wie ihr Leben.
»Na, komm schon.« Zoe saß genau auf demselben Platz wie zuvor Anni Hepburn. Sie stellte Suzannes Becher auf einen Beistelltisch, und als wäre es beabsichtigt, fielen ihr dabei ein paar Strähnen ihrer perfekt kolorierten blonden Haare ins Gesicht und umrahmten ihr perfektes Profil. Zoe musste gar nichts dafür tun, sie sah einfach immer
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