Der Stalker
Kein einziges Buch im Regal. DVD s massenweise, aber kein Buch.«
»Na und? Das hier ist das wirkliche Leben. Nicht alle Leute haben all ihre Ideen aus Büchern!«
Ein seltsames Lächeln umspielte ihre Lippen, als wolle sie sich seine Worte genau merken, um sie später in einer wissenschaftlichen Arbeit zu zitieren. Das machte ihn nur noch wütender.
»Ich glaube, es ist besser, wenn Sie gehen. Und zwar jetzt sofort.«
Sie blinzelte zweimal. »Warum?«
»Weil ich Sie nicht mehr in meiner Nähe haben will.«
»Aber Ben hat gesagt –«
»Es ist mir scheißegal, was Ben gesagt hat. Ich leite diese Ermittlungen, und ich will Sie nicht hier haben. Verstanden?« Er zeigte zur Tür. »Gehen Sie. Jetzt.«
Sie sah ihn mit vor Trotz funkelnden Augen an und öffnete den Mund, als wolle sie ihm ein letztes Mal Kontra geben. Dann überlegte sie es sich anders und schloss ihn wieder. Sie drehte sich um und ging.
»Es tut mir leid«, sagte Phil und stellte einen Becher mit Tee vor Paula ab. Der Becher war groß und sah so aus, als würde er oft und gerne benutzt. Darauf war das Bild einer Frau, die in einem Arm ein Baby hielt und mit der anderen Hand einen Staubsauger. Darunter stand: World’s Best Mum .
»Ist das Ihr Becher?«, fragte Phil.
»Adeles«, sagte Paula und nippte vom Tee. »Sie hat ihn zu Nadines erstem Geburtstag geschenkt bekommen. Ich hab ihr gesagt, er ist von der Kleinen.« Sie würgte ein Schluchzen hinunter.
»Aha.« Phil stellte seinen eigenen Becher ab und beugte sich vor. Er wollte Paulas Aufmerksamkeit nicht schon wieder verlieren. »Jetzt zu meinen Fragen.«
Sie holte tief Luft und wartete.
»Erzählen Sie mir ein bisschen von Adele.«
»Was denn?«
»Was sie so für ein Mensch ist. Wie sie war, kurz bevor sie verschwunden ist, und so weiter.«
Ein weiteres tiefes Durchatmen. »Sie war … sie war so lieb, bevor sie verschwunden ist. So hatte ich sie seit Jahren nicht erlebt.«
Phil runzelte die Stirn. »Wieso? Was war denn davor?«
»Na ja, sie war ein bisschen wild. Sie wissen ja, wie Teenager sind. Ihr Vater ist abgehauen. Hat uns sitzenlassen. Mich, Adele und ihren Bruder.«
Phil ließ den Blick zu den Fotos des jungen Soldaten an der Wand schweifen. »Ist er das? Adeles Bruder?«
Paula nickte mit gesenktem Kopf. »War.«
»Was meinen Sie damit?«
»Er ist gefallen. Vor etwas über einem Jahr. In der Provinz Helmand. Afghanistan.«
»Das tut mir leid.«
Paula nickte mit gesenktem Kopf. »Eine Bombe am Straßenrand. USBV nennt man das ja jetzt.« Sie lachte kurz auf. »Hab sogar einen Brief vom Premierminister gekriegt. Was für eine Ehre.«
Ihr Tonfall sagte etwas anderes.
»Wie hieß er?«
»Wayne.« Noch immer blickte sie auf ihren Schoß.
»Wie ist Adele mit seinem Tod umgegangen?«
Paula sah auf und dachte eine Zeitlang nach, ehe sie antwortete. »Sie war ziemlich fertig. Sie hat sich davor auch schon oft irgendwo rumgetrieben, seit ihr Vater …« Sie stockte. »Seit ihr Vater weggegangen ist. Ist mit Jungs abgehauen, manchmal tagelang nicht nach Hause gekommen. Dann ist sie schwanger geworden. Das hat sie wachgerüttelt, wissen Sie? Das war wie ein Fingerzeig von oben.«
Zu viele Vormittagstalkshows, dachte Phil bei sich und nickte.
»Sie ist viel ruhiger geworden. Hat sich einen Job gesucht.« Paula sah Phil herausfordernd ins Gesicht. »Ich weiß genau, was Sie denken. Was DS Farrell gesagt hat.«
»Was?«
»Dass Adele anschaffen gegangen ist. Dass sie eine Nutte war. Aber das stimmt nicht. Vielleicht hat sie sich von Männern hin und wieder was schenken lassen, aber sie war keine Nutte. Ganz bestimmt nicht.«
Phil nickte. »Sie hat gekellnert, stimmt’s?«
Paula nickte.
»Wo?«
»Im Freemason’s Arms in der Military Road.«
»Das kenne ich.«
Paula lächelte. »Das glaub ich. Aber der Laden ist nicht so schlimm wie sein Ruf. Und überhaupt, das war nur zur Überbrückung. Sie wollte Geld sparen und wieder aufs College gehen. Ihren Schulabschluss nachmachen, und dann …« Sie zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht – irgendwas halt.«
»Und es gab keine Anzeichen dafür, dass sie wieder von zu Hause weglaufen wollte?«
Paula sackte nach vorn. »Überhaupt keine. Gar nichts.«
Phil stellte ihr noch einige weitere Fragen. Adele hatte das Freemason’s Arms gleich nach Ende ihrer Schicht verlassen und sich auf den Heimweg gemacht. Sie war nie zu Hause angekommen. In der Zeit, die zwischen Paula Harrisons Vermisstenmeldung und Farrells ersten
Weitere Kostenlose Bücher